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Das Kalenderblatt

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KW 23 / 2006

Eine Kalenderwoche weiter

 

Recht auf "reproduktive Selbstbestimmung"?

Vor 35 Jahren: Frauen bekennen "Wir haben abgetrieben!"

stern titelt: Wir haben abgetrieben
Titelblatt der Zeitschrift "Stern", 24. Jg. Heft 24,
Gruner + Jahr, Hamburg, 6. Juni 1971
Quelle: www.dhm.de, Haus der Geschichte, Bonn,
EB-Nr.: 1996/01/0049

06.06.1971: In der Zeitschrift "Stern" bekennen 374 Frauen, dass sie illegal Abtreibungen vorgenommen haben, unter ihnen sind auch zahlreiche Prominente. Sie bringen mit ihrer Selbstbezichtung zum Ausdruck, dass sie den §218/Strafgesetzbuch für überholt halten und fordern seine Abschaffung. Initiatorin der Kampagne ist die Journalistin Alice Schwarzer.

Ihre Forderung geht einher mit der "sexuellen Revolution" und der "Befreiung der Frau" Ende der 60er Jahre.

* * *

Mit dem provozierenden Spruch "Ich habe abgetrieben" landeten die Frauen nicht vor dem Richter, sondern sie brachten das Thema mit dem Tabubruch auf die Tagesordnung der Politik.

Bereits drei Jahre später, 1974, verabschiedet die sozialliberale Koalition mit knapper Mehrheit die sogenannte Fristenregelung, nach der Schwangerschaftsabbrüche in den ersten 12 Schwangerschaftswochen straffrei bleiben.

Aber 1975 erklärt das Bundesverfassunggericht (BVG) den neuen §218 (Fristenregelung) für verfassungswidrig:

"Der Lebensschutz der Leibesfrucht genießt grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren und darf nicht für eine bestimmte Frist infrage gestellt werden." mehr

Nach dem aktuellen Strafrecht von 1995 bleibt Abtreibung innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen straffrei, wenn die Frau eine Beratung nachweisen kann.

Das Ergebnis: Deutschland bekommt kaum noch Kinder, und an griffigen Erklärungen mangelt es nicht: Fehlende Ganztags-Betreuungsplätze, fehlende Teilzeitarbeitsplätze für Frauen und Männer, starre Tarifverträge und Macho-Männer, die ihren Job nicht für eine "Elternzeit" unterbrechen wollen.

Das aktuell geplante Elterngeld ist meines Erachtens eine Mogelpackung und benachteiligt sozial schwache. Bei dieser Politik müssen Deutschlands Frauen (und Männer ?) mit Kinderwunsch weiterhin den Spagat zwischen Job und Familie versuchen, wenn sie sich nicht für freiwillige Armut entscheiden.

Mit einer wirklichen Familienpolitik dürfte es keine "Notlagen"-Indikation nach §219/Strafgesetzbuch mehr geben.

Uwe Schütz

mehr bei uns aus der Zeit: mehr bei uns zum Thema:  
1970 : ARD zeigt die TV-Satire "Das Millionenspiel"
1970 : Endes des "Contergan"-Prozesses
1971 : Stern: "Wir haben abgetrieben"
1971 : Erste Greenpeace-Aktion
1971 : Uraufführung des Musicals "Jesus Christ Superstar"
1972 : "Bloody Sunday" in Nordirland
1972 : Die Wende im Vietnamkrieg
1972 : US-Regierung im Watergate-Skandal