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             2004: In einem Beitritt 
              der Türkei zur Europäischen 
              Union (EU) sehen die Befürworter eine Herausforderung mit 
              vielen Vorteilen. Die Gegner fürchten, dass Belastungsgrenzen 
              überschritten werden. 
            Wie steht die deutsche 
              Politik zum EU-Beitritt?
            Lange Zeit brachte keine 
              westliche Persönlichkeit den Mut auf, mit der Türkei offen 
              über ihren Beitritt zur Europäischen Union (EU) zu sprechen. 
              Dies änderte sich mit dem Besuch von CDU-Chefin Angela Merkel 
              beim türkischen Regierungschef Erdogan im Februar 2004. 
            Eine Woche nach dem Besuch 
              der Oppositionschefin reiste auch Bundeskanzler Gerhard Schröder 
              (SPD) in die Türkei. Anders als die Union unterstützt 
              er den EU-Beitrittswunsch Ankaras - aber er stellt Bedingungen. 
               
            Für Bundesaußenminister 
              Joschka Fischer wäre die Aufnahme der Türkei der D-Day 
              für die Modernisierung des Mittleren Ostens und damit für 
              den Kampf gegen den Terror (Interview der Süddeutschen Zeitung, 
              25.06.2004) 
               
            Der türkische Ministerpräsident 
              Tayyip Erdogan versteht die Bedenken um den EU-Beitritt der 
              Türkei überhaupt nicht. Hier einige Hintergrund-Infos 
              zu den in der öffentlichen Diskussion geäußerten 
              Bedenken. 
               
            Was bedeutet der EU-Beitritt 
              geographisch?
            
               
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                   Karte 
                    der EU-Länder, Beitrittsländer von 2002 in rot, 
                    Beitrittskandidaten in grau  
                    (EFTA-Staaten in hellgrau, Türkei in dunkelgrau) 
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            Die EU würde dann 
              an den Kaukasus, Iran, Irak und Syrien grenzen.  
            Befürworter des 
              EU-Beitritts meinen, die Türkei könne die «wichtigste 
              Brücke» zwischen Kontinentaleuropa und dem östlichen 
              Mittelmeerraum werden. Eine demokratische Türkei hat «Signalwirkung» 
              für die Akzeptanz westlicher Werte in anderen islamischen Ländern. 
            Die Gegner sagen, die 
              Türkei gehöre weder geographisch noch kulturell zu Europa. 
              Die Grenzen würden bis in die Unruhegebiete des Orients überdehnt. 
              Die einerseits christlich-abendländisch und andererseits vom 
              Islam geprägten 
              Identitäten und Lebensformen passen nicht zueinander. 
            Die EU hätte den 
              Nahostkonflikt direkt 
              vor seiner Haustür. Europa wird schon mit der Erblast auf dem 
              Balkan nicht fertig, die die Türken mit dem Zerfall 
              ihres Osmanischen Reiches hinterlassen haben (Kosovo 
              und Bosnien sind bis heute nicht 
              regierbar. 
            Die Gegner argumentieren. 
              die EU habe sich nach der großen Osterweiterung 2004 noch 
              nicht konsolidiert, eine EU-Verfassung ist noch nicht in Sicht. 
              Ein so großes und einflussreiches Land erschwere Entscheidungen 
              und verschiebe die Balance in den Gremien drastisch. 
               
             
            Was bedeutet der EU-Beitritt 
              für die Wirtschaft?
            Wirtschaftlich könne 
              die EU von einem Beitritt seines Landes profitieren. Die Türkei 
              wird für die Union keine Last sein, sondern auch wirtschaftlich 
              ein Gewinn", sagte Demiralp, der türkische Botschafter 
              bei der Europäischen Union. Agrarbeihilfen werde es bis zu 
              ihrem Beitritt ohnehin nicht mehr in nennenswertem Umfang geben, 
              und die Hilfe aus Brüssel für arme Regionen sei begrenzt. 
              Einige ihrer heutigen Mitglieder haben die EU weit mehr gekostet, 
              als es die Türkei jemals wird", fügte der Diplomat 
              hinzu. 
            Die Gegner meinen: Trotz 
              Wirtschaftsbooms ist die Türkei rückständiger als 
              alle EU-Länder. Über ein Drittel der Menschen arbeitet 
              in der Landwirtschaft. Die jährlichen Hilfen für die Struktur- 
              und Agrarpolitik gehen in den zweistelligen Milliardenbereich. 
            Als mögliches Beitrittsjahr 
              der Türkei nannte Demiralp 2013. Bisher war von 2015 als frühestmöglichem 
              Termin die Rede. Wenn die Verhandlungen enden, wird die Türkei 
              nicht mehr das selbe Land sein wie heute". 
            Was bedeutet der EU-Beitritt 
              kulturell?
            Befürworter des 
              EU-Beitritts meinen, die EU basiere auf Werten und nicht auf religiösen 
              Überzeugungen. Das islamische Land Türkei habe das Prinzip 
              der Trennung von Staat und Religion längst verwirklicht. Ausschlaggegend 
              sind die Kriterien des Kopenhagener EU- Gipfels von 2002. 
            Die Gegner sagen, die 
              einerseits christlich-abendländisch und andererseits vom Islam 
              geprägten Identitäten und Lebensformen passen nicht zueinander. 
              Trotz aller Reformen gäbe es große Defizite bei Justiz 
              und Polizei, den Menschen- und Minderheitenrechten, der Meinungsfreiheit, 
              Gleichstellung der Frau und Religionsausübung. 
            Was bedeutet der EU-Beitritt 
              für die Bevölkerung?
            Die Aufnahmefähigkeit 
              der Europäischen 
              Union ist mit der Osterweiterung 2004 zunächst an ihre 
              Grenzen gelangt, heißt es aus Oppositionskreisen.  
            Es werde keine 
              Masseneinwanderung aus der Türkei nach Deutschland geben, 
              sagte der türkische Botschafter bei der Europäischen Union, 
              Oguz Demiralp, der Berliner Zeitung (26.09.04). Ankara 
              rechne mit Beschränkungen für die Freizügigkeit von 
              Arbeitskräften, wie sie schon beim Beitritt Polens zur Union 
              vereinbart wurden. Die türkische Regierung erwarte sogar eine 
              Zuwanderung aus anderen EU-Ländern in die Türkei, wenn 
              sich dort die Lebensbedingungen verbesserten. 
            Beitrittsgegner argumentieren 
              : Eine Zuwanderungswelle von Arbeitsuchenden wird sich mit Übergangsfristen 
              verzögern, aber nicht verhindern lassen. Sie führt zu 
              Turbulenzen auf dem Arbeitsmarkt und erschwert die Integration. 
            Die Türkei hatte 
              im Jahr 2000 67,8 Mio. Einwohner (Quelle: Auswärtiges Amt, 
              Volkszählung 2000). In 10 Jahren wird die Einwohnerzahl auf 
              80 - 90 Millionen steigen. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Deutschen 
              (1998: 74,6 Mio, 2050: 49,0 Mio). Bereits bei der Aufnahme der Türkei 
              in die EU wäre sie der bevölkerungsreichste Mitgliedsstaat. 
               
            Es ist nur eine Frage 
              der Zeit bis die Zahl der Türken auch die Zahl der Deutschen 
              + Franzosen übersteigt (das sind die bevölkerungsreichsten 
              Länder der EU). Das dürfte vor Ende des 21. Jahrhunderts 
              der Fall sein.  
            Schätzungen sagen, 
              dass der EU-Beitritt eine Zuwanderung von 15 oder 20 Millionen Türken 
              bewirken würde. Wer für den EU-Beitritt der Türkei 
              ist, der sollte diese Zahlen vor Augen haben, auch wenn die Türkei 
              das dementiert. 
            Zypernfrage
            Ein großes Problem 
              bei den Verhandlungen zwischen der EU und der Türkei stellt 
              der Zypern-Konflikt da. Die Türkei erkennt die Republik Zypern 
              nicht an, die seit 2004 EU-Mitgliedsstaat ist, und zwar mit ihrem 
              völkerrechtlich anerkannten Teritorium, also inclusive des 
              von der Türkei besetzten Nordens (1/3 des Staatsgebiets) der 
              Insel. 
            Hintergrund: Nachdem 
              griechische Putschisten im Sommer 1974 den Anschluss Zyperns an 
              Griechenland durchsetzen wollten, besetzten türkische Streitkräfte 
              den Norden der Insel. Im November 1983 wurde die Türkische 
              Republik Nordzypern proklamiert, die aber international nicht anerkannt 
              wurde. 
            Türken 
              in Deutschland
            Drei Millionen Türken 
              leben bereits in der Bundesrepublik. Die große Mehrheit von 
              ihnen lebt in  Türkenvierteln, 
              z.B. Berlin-Kreuzberg und in den großen Städten des Rhein-Ruhr-Gebietes 
              von Frankfurt bis Duisburg. Sie bauen dort ihre Parallelgesellschaften 
              auf mit türkischen Zeitungen. türkischem Fernsehen, türkischen 
              Fußballvereinen und selbst türkischer medizinischer Versorgung. 
            Diese drei Millionen 
              Türken werden sich in ein bis zwei Generationen auf ca. 10 
              Mio erhöhen. Diese ohnehin schon alarmierende Zahl ist Makulatur, 
              wenn mit der Aufnahme der Türkei in die EU auf Grund des freien 
              Niederlassungsrechts eine Zuwanderung von zusätzlichen 10 oder 
              15 Millionen islamischer Türken nach Deutschland stattfindet. 
            Wie kamen die türkischen 
              "Gastarbeiter" nach Deutschland?
            1960 gab es in Deutschland 
              ca. 410.000 offene Stellen. Die Adenauer-Regierung 
              kündigte daraufhin an, sich verstärkt um die Anwerbung 
              von Arbeitskräften aus dem Ausland (= "Gastarbeiter") 
              zu kümmern. 1961 wurde mit der Türkei ein Anwerbeabkommen 
              abgeschlossen. Die ersten ausländischen Arbeitnehmer kamen 
              im Jahr 1956 aus Italien.  
            Waren alle Bundeskanzler 
              für den EU-Beitritt?
            Bundeskanzler Gerhard 
              Schröder (SPD) erweckt den Eindruck, als seien alle seine Vorgänger 
              auch für den EU-Betritt der Türkei. Stimmt das? 
            "Sie passen nicht 
              dazu", sagt z.B. der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt 
              (SPD). Er rät immer wieder eindringlich davon ab, die Türkei 
              in die EU aufzunehmen. In seinem Buch "Die Selbstbehauptung 
              Europas" schreibt er: 
             
              "Geopolitische 
                Erwägungen und demographische Prognosen, vor allem aber die 
                Anerkenntnis großer kultureller Verschiedenheit sollten 
                dazu führen, Abstand zu nehmen von wortreichen, in Wahrheit 
                unredlichen Erklärungen über eine Beitrittskandidatur 
                der Türkei."  
                  
             
            1990 lehnte die EG 
              den Beitritt der Türkei ab 
            Am 05.02.1990 beschloss 
              der EG-Ministerrat nach zwei-einhalb-jähriger Prüfung, 
              der Türkei die Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft 
              zu verweigern. Bereits im April 1987 hatte die türkische Regierung 
              den Antrag und Ankara rechnete mit einer Aufnahme Anfang oder bis 
              Mitte der 1990er Jahre, um damit endgültig als fester Bestandteil 
              der europäischen Völkergemeinschaft anerkannt zu werden. 
            Die EG-Kommission prüften 
              die politische und soziale Situation der Türkei. Sie kam zu 
              dem Ergebnis, dass das bevölkerungsreiche Land trotz aller 
              Fortschritte noch immer gravierende Unterschiede zum mittleren Niveau 
              der Gemeinschaft aufweise. So erwirtschafte die Türkei ein 
              Sozialprodukt, welches ungefähr die Hälfte des Sozialprodukts 
              Portugals, des bisher ärmsten EG-Mitgliedes entspreche. Nicht 
              nur im Wohlstand sei ein starkes Gefälle zwischen den EG-Ländern 
              und der Türkei festzustellen, auch in der sozialen Sicherung, 
              auf dem Arbeitsmarkt und im gesamten politischen und kulturellen 
              Leben gebe es auf absehbarer Zeit große Unterschiede.  
            Auf 
              dem EU-Gipfel in Luxemburg im Dezember 1997 wurde entschieden, dass 
              die Türkei für einen Beitritt in Frage käme. Da jedoch 
              der auch Gipfel beschloss, für 1998 Beitrittsverhandlungen 
              mit Republik Zypern, Ungarn, Polen, Estland, der Tschechischen Republik 
              und Slowenien aufzunehmen, fühlte sich die türkische Regierung 
              brüskiert. Ministerpräsident Mesut Yilmaz verkündete 
              daher verärgert den Abbruch der Gespräche mit der EU. 
            Unausgesprochen blieb 
              bei der ablehnenden Begründung, dass für viele Europäer 
              die Türkei als ein mehrheitlich vom Islam geprägtes Land 
              ohnehin nicht zu dem alten Kontinent gehöre, dessen Kultur 
              sich aus griechisch-römischer Antike, Christentum und säkularisierender 
              Aufklärung gebildet habe. 
            
               
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                   Flagge 
                    der Türkei  
                    Quelle: wikipedia.de, public domain 
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            Wie geht es den Christen in der Türkei? - Benachteiligungen 
              und Verfolgungen nehmen zu
            Trotz EU-Beitrittsdiskussionen 
              nehmen die Benachteiligungen und Verfolgungen von Christen in der 
              Türkei zu. Neben den mittlerweile gewohnten Verschleppungen 
              von Genehmigungen für protestantische Gemeinden beobachtet 
              "Open Doors", das internationale Hilfswerk für verfolgte 
              Christen, in letzter Zeit immer mehr verbale und tätliche Anfeindungen 
              gegen Christen in der Türkei mehr 
            Gibt es verwertbare 
              und vergleichbare Erfahrungen?
            Europa wird schon mit 
              der Erblast auf dem Balkan nicht fertig, die die Türken mit 
              dem Zerfall 
              ihres Osmanischen Reiches hinterlassen haben. Die Aufnahme der 
              Türkei würde mitten in Europa bosnische 
              Verhältnisse herauf beschwören, argumentieren manche 
              Kritiker. In der Tat funktionieren auch 8 Jahren nach dem Friedensabkommen 
              von Dayton (1995) in Bosnien weder das Regieren noch das zusammen 
              Leben zwischen den Volksgruppen (Moslems = 48,3 %, Orthodoxen = 
              34 % und Katholiken 15,4 %, Quelle: Auswaertiges-Amt.de). 
            Die Türkei selbst 
              hat keine Lösung für den Zypernkonflikt und für die 
              Kurdenfrage. 
              Beitrittsbefürworteer 
              meinen, die Beitrittsverhandlungen seien nicht nur Mittel zur dauerhaften 
              Demokratisierung der Türkei, sie böten auch den entscheidenden 
              Hebel für eine Lösung des Zypern-Problems. 
            Auch das Verhältnis 
              der Türkei zu seinem Nachbarn Armenien ist nach wie vor gespannt. 
              Die Türkei bestreitet bis heute den Tod 
              von 1,5 Millionen Armeniern während des 1. Weltkriegs. 
               
            Wer 
              ist der türkische Ministerpräsident Erdogan?
            Im November 2002 gibt 
              es bei den Parlamentswahlen in der Türkei einen "politischen 
              Erdrutsch". Die AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung), 
              die islamische Partei von Erdogan, erringt die absolute Mehrheit. 
              Weil AKP-Partei-Chef Recep Tayyip 
              Erdogan wegen religiöser Hetze vorbestraft ist, kann er 
              zunächst nicht Regierungschef werden. Trotzdem kam er an die 
              Macht mehr 
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