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AREF blickt in die Presse

Vergessen - wie Gott in Frankreich

Kommentar zu den Krawallen in Frankreichs Vorstädten

November 2005: Brennende Autos, ausgeraubte Läden - Frankreichs Vorstädte sind am Rande des Bürgerkriegs Foto: dpa

Brennende Autos, ausgeraubte Läden: Frankreichs Vorstädte sind am Rande des Bürgerkriegs - und das gar nicht so unerwartet, wie es die französische Politik gerne behauptet. Schon lange erwarteten Experten einen Ausbruch der Gewalt in den „Banlieus“ – den gettoartigen Vororten der großen und mondänen Metropolen wie Paris oder Marseille.

Frankreich hat seine Vororte aufgegeben

Denn dort, wo die schmuddeligen und heruntergekommenen Hochhäuser aus den 50er Jahren beginnen, endet Frankreich. Aus vielen dieser Orte hat sich der französische Staat längst zurückgezogen und muslimische Gemeinden – wenn überhaupt jemand – haben die Aufgaben der Behörden übernommen: Wohlfahrt, Kultur, Bildung, Sicherheit. Frankreich hat seine Vororte aufgegeben – schon vor Jahren. Es gibt in vielen Vorstädten kaum Polizeipräsenz, geschweige denn Sozialarbeiter oder Freizeit- und Sportangebote. Lehrer lassen sich massenweise versetzen oder krankschreiben. Entsprechend schlecht ist das Bildungsniveau und entsprechend dreht sich die Spirale weiter nach unten. Radikale Moslems haben es vielerorts geschafft, „Orte der Sünde“ wie Kinos und Tanztheater zu schließen und oft lassen sich nur noch in wenigen Läden Alkoholika und Schweinefleisch kaufen. Aber sie halten auch das soziale Leben so gut es geht aufrecht, bieten Hausaufgabenhilfen, organisieren Krankenbesuche und unterstützen bei Behördengängen.

Integrationspolitik ist gescheitert

Und dabei rühmte sich Frankreich bisher immer seiner erfolgreichen Integrationspolitik – die jetzt von den Betroffenen selbst auf dramatische Weise in Frage gestellt wird. Integration hieß in Frankreich: „Gib uns eine Generation lang Zeit, und wir machen aus jedem Einwanderer einen echten Franzosen“. Was als Integration verkauft wird, ist aber eher „Assimilation“. Und das gilt in besonderem Maße für die Religion. Wenn sie im offiziellen Frankreich vorkommt, dann tut sie es fast ausschließlich in Form des Katholizismus. 65% der Franzosen sind offiziell Mitglied der Katholischen Kirche. Aber nur 5% besuchen regelmäßig einen Gottesdienst (Deutschland: 9%). Und selbst von ihnen kann wohl eine Mehrheit als „Kulturchristen“ bezeichnet werden. Auch wenn zurzeit in Frankreich sowohl in evangelischen wie auch in katholischen Gemeinden eine missionarische Aufbruchstimmung zu spüren ist, so gilt Frankreich doch gemeinhin als zutiefst säkulares Land.

Nicht Trennung zwischen Staat und Kirche, sondern Ächtung von Religion

Die strikte Trennung zwischen Staat und Kirche, auf die Frankreich so stolz ist, kommt also de facto einer gesellschaftlichen Ächtung von Religion gleich. Daher bedeutet in Frankreich Integration für einen religiösen Menschen – gleich ob Moslem oder Christ – im Grunde die Wahl zwischen Aufgabe seines Glaubens oder dem Leben in einer Subkultur. Und das gilt für Moslems in ungleich höherem Maße als für Christen, deren Glaube nicht so kulturell gebunden und strukturiert ist wie der Islam.

Die Unruhen, die die letzten Tage die Vororte von Paris erschüttert haben und die nun langsam auf das ganze Land übergreifen, sind zu einem großen Teil die Folge dieser Politik. Sie hat die Gettobildung begünstigt und es versäumt, die Menschen, die sich nicht an die säkulare französische Kultur angleichen lassen wollten, trotzdem in die französische Gesellschaft aufzunehmen. Das Ganz-oder-gar-nicht-Prinzip hat zu häufig zu einem „gar nicht“ geführt.

Ist Stolz auf seine säkulare Gesellschaft angebracht ?

Frankreich täte gut daran, sich selbst zu fragen, ob der Stolz auf seine säkulare Gesellschaft angebracht ist. Natürlich ist es für mich als Christ selbstverständlich, eine christliche Gesellschaft einer gottlosen vorzuziehen. Aber auch soziologisch muss die Frage erlaubt sein, ob es klug war, Gott de facto aus der Republik zu entfernen. Denn ein im wahrsten Sinne „gottloser“ Staat verfehlt ganz offensichtlich die Realität seiner Einwohner – auch noch in unserem modernen und aufgeklärten Europa.

Was dies alles für Deutschland heißt, muss wohl noch diskutiert werden. Auf jeden Fall ist es augenscheinlich unklug, sozial schwache oder nicht in unserer Kultur aufgewachsene Mitbürger an eine Parallelgesellschaft zu verlieren, die auch in Deutschland schon hier du da in Ansätzen zu spüren ist.

Vielleicht stehen wir Christen hier in der Pflicht

Vielleicht stehen gerade wir Christen hier in der Pflicht, dem entgegenzuwirken. Optimalerweise, indem wir unsere Anstrengungen intensivieren, den Menschen die gute Nachricht von Jesus zu bringen. Aber auch, indem wir die Menschen – egal mit welchem kulturellen oder religiösen Hintergrund – die Liebe Gottes praktisch erfahren lassen ... und sie so in unser gesellschaftliches Leben integrieren. Das tun wir Christen noch viel zu wenig. Wer aber sollte am ehesten ein Herz für die Unterprivilegierten und Ausgegrenzten haben wenn nicht wir - die Nachfolger Jesu?

Von Rolf Krüger, jesus.de, 05.11.2005, mit freundlicher Genehmigung

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