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Verstoß gegen das Grundrecht auf Freiheit

Europas Gerichtshof für Menschenrechte: Nachträgliche Sicherungsverwahrung ist menschenrechtswidrig

17.12.2009: Die nachträgliche Sicherungsverwahrung eines Serienstraftäters verstößt gegen die Menschenrechtskonvention. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat unter dem Aktenzeichen 19359/04 in Straßburg die Bundesregierung zur Zahlung von 50.000 Euro Schmerzensgeld an einen 52-jährigen Gewaltverbrecher verurteilt, weil Deutschland gegen das Grundrecht auf Freiheit verstoßen habe.

Rückwirkend lebenslänglich geht nicht

Der Serientäter Reinhard M., 52, saß seit seinem 15. Lebensjahr immer wieder in Haft, erst wegen Autoaufbrüchen, dann wegen Schlägereien. Zum vorläufig letzten Mal wurde er im Juli 1985 straffällig. Er war damals 28 Jahre alt, auf Freigang, und würgte eine Frau so lange, dass sie beinahe starb.

Das Landgericht Marburg verurteilte ihn im November 1986 zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Weil er so gefährlich war, ordnete es darüber hinaus seine Sicherungsverwahrung an. Das bedeutete damals: maximal zehn Jahre zusätzlich. Reinhard M. hätte eigentlich im November 2001 entlassen werden müssen - doch da hatte der Bundestag das Gesetz geändert. Seitdem können Gewalttäter zum Schutz der Bevölkerung für immer weggesperrt werden.

Deshalb sitzt Reinhard M. heute noch, nach Ansicht seines Anwalts Bernhard Schroer zu Unrecht und unter Missachtung eines der wichtigsten Prinzipien eines Rechtsstaats, des Rückwirkungsverbots. "Man kann einem Gefangenen", so Schroer, "nicht Jahre nach dem Urteil plötzlich lebenslänglich geben, lebenslänglich durch die Hintertür." Er berief sich bei seiner Grundrechtsbeschwerde auf Artikel 7 der Menschenrechtskonvention (Verbot rückwirkender Strafverschärfung) ebenso wie auf Artikel 5 über das Recht auf Freiheit.

Straßburger Richter widersprechen auch dem Bundesverfassungsgericht

Mit ihrer jüngsten Entscheidung widersprachen die Straßburger Richter auch dem Bundesverfassungsgericht. Die Karlsruher Juristen hatten die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung im Februar 2004 in einem Leiturteil gebilligt. Das absolute Rückwirkungsverbot für Strafen sei nicht auf "Maßregeln zur Besserung und Sicherung" anwendbar.

Das Urteil wurde von einer kleinen Kammer gefällt. Dagegen können beide Parteien binnen drei Monaten Rechtsmittel einlegen. Dann kann eine Große Kammer des Straßburger Gerichts die Entscheidung überprüfen. Der Anwalt des Inhaftierten forderte die sofortige Freilassung seines Mandanten.

In Deutschland sind nach Angaben des Gerichtshofes etwa 70 Häftlinge in einer ähnlichen Situation. Prinzipiell ist Deutschland zur Umsetzung von Urteilen des Gerichtshofs verpflichtet. Dem Gesetzgeber bleibt jedoch überlassen, wie das geschieht.

Quelle: spiegel.de

Autor dieser Webseite: Uwe Schütz