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Wer motzt, fliegt 'raus

100 Tage vor der Fußball-WM: Die deutsche Nationalmannschaft am Boden

Christian Wörns von Borussia Dortmund  im ARD-Interview (Sportschau)
Christian Wörns von Borussia Dortmund
am 25.02.2006 im Interview in der Sportschau der ARD, nachdem ihn Klinsmann aus dem WM-Kader gestrichen hat

100 Tage vor Beginn der WM scheint die Klinsmann-Elf von Titelambitionen weiter entfernter denn je: Gegen Italien setzte es ein 1:4. Die deutsche Mannschaft bot eine desolate Vorstellung. Aber Kritik ist nicht erwünscht beim Bundestrainer Jürgen Klinsmann. Wer motzt, fliegt 'raus aus dem WM-Kader. Das musste Christian Wörns, der für seine Borussia aus Dortmund sehr gute Vorstellungen abliefert, kurz vor dem Italienspiel am eigenen Leibe erfahren.

Das Aus für Christian Wörns

Die Entscheidung betraf Christian Wörns - die Warnung aber gilt allen WM-Kandidaten. Rund 100 Tage vor dem WM-Auftakt am 9. Juni gegen Costa Rica darf sich kein Nationalspieler mehr sicher sein, schon einen Platz im 23-köpfigen Aufgebot gebucht zu haben.

Maulkorbzwang

Jürgen Klinsmann forderte die Profis nochmals auf, die Regeln der Zusammenarbeit einzuhalten. Den Rauswurf des Dortmunders Wörns will der Bundestrainer als «klares Signal» verstanden wissen: «Jeder muss sich in den kommenden Wochen in den Dienst der Gemeinschaft stellen und Eigeninteressen dürfen keine Rolle spielen. Wir haben bei der WM gegen Topteams wie Argentinien und Brasilien nur dann eine Chance, wenn alle zusammenhalten.»

Wer Klinsmanns Fußball-Philosophie kennt und wer seine Arbeit als Bundestrainer seit Juli 2004 intensiv verfolgt hat, den können die jüngsten spektakulären Maßnahmen des 108-maligen Nationalstürmers nicht überraschen. Vor dem ersten Länderspiel des WM-Jahres am 1. März in Florenz gegen Italien hatte er mit einer Nicht-Nominierung zunächst dem Schalker Kevin Kuranyi einen Denkzettel für einige Nachlässigkeiten verpasst. Dann bootete er den 33-jährigen Wörns aus, als dessen Kritik zu heftig und persönlich wurde. Als «link und unehrlich» hatte Wörns den Umgang von Klinsmann bezeichnet. Davon könne keine Rede sein, betonte der Bundestrainer. Die sportliche Leitung habe Wörns das Konzept immer erläutert.

«Das Fundament aller Arbeit ist Respekt»

Wörns habe mit seinen wiederholten verbalen Angriffen, auch wenn der Ärger über seine Nicht-Berücksichtigung für das Spiel in Italien auf Grund der guten sportlichen Leistungen in den vergangenen Wochen verständlich ist, die wichtigste Grundlage für eine gemeinsame Perspektive verletzt. «Das Fundament aller Arbeit ist Respekt», betonte Klinsmann immer wieder.

Klinsmann fordert seinen Spielern die Bereitschaft ab, nach seiner Philosophie zu arbeiten. «Wir haben ihnen immer wieder gesagt, wenn einer nicht mitzieht, wenn er meint, er braucht es nicht, dann ist das Thema schnell erledigt.» Dies würde ausnahmslos für alle gelten. Schließlich gehe es nicht um irgend einen nationalen Titel, sondern das Größte, was ein Fußballer überhaupt erreichen kann: um den WM-Titel - und das noch im eigenen Land.

Wer totale Aufopferung verlangt, muss auch selbst dazu bereit sein

Auch aus dem Vorstand des Bayern Münchens nimmt die Kritik an Klinsmann zu. Bayern-Manager Uli Hoeneß sagte in einem stern-Interview, DFB-Trainer Jürgen Klinsmann müsse „die Wohnortdebatte beenden und mehr in Deutschland sein". „Er verlangt von seinen Spielern totale Aufopferung", sagte Hoeneß, „aber dann muss er selbst auch dazu bereit sein.“

In Klinsmanns Spielphilosophie ist kein Platz für Sicherheitsdenken

Der einstige WM-Auswahl-Mitspieler Wörns passt nicht mehr in Klinsmanns Neuordnung und seine Spielphilosophie, die schon von den Abwehrspielern das sofortige Umschalten in die Offensive, Mut statt Sicherheitsdenken und das schnelle Pass-Spiel fordert. Für den klassischen Manndecker und "Beißer" ist kein Platz. Klinsmann setzt auf die weniger erfahrenen Verteidiger Christoph Metzelder und Robert Huth. Bereits beim Confederations Cup als WM-Generalprobe im Sommer 2005 hatte der Bundestrainer auf den 66-fachen Nationalspieler Wörns verzichtet.

Klinsmann setzt auf US-Methoden

Um seine Vorstellungen durchzusetzen, ist der "Reformer Klinsmann" seit dem ersten Tag als Bundestrainer kompromisslos. Er setzte seine Vertrauten wie Joachim Löw und Andreas Köpke durch, er ging mit Manager Oliver Bierhoff und amerikanischen Fitness-Expertern ganz neue Wege. Erich Rutemöller war neun Jahre für die Nationalelf tätig, zuletzt als Aufwärm-, Fitness- und Konditionstrainer. Doch Klinsmann setzt lieber auf moderne US-Methoden und gab ihm per Telefon den Laufpass.

Und er verabschiedete Mitarbeitern wie die Torwart-Legende Sepp Maier, die seinem Weg nicht vorbehaltlos folgten. Klinsmann will dem deutschen Fußball ein neues, frisches Bild geben. Vertreter des alten Stils, zu denen eben Wörns oder auch Dietmar Hamann gehören, passen da nicht. Als Gradmesser für all seine Maßnahmen lässt der Bundestrainer ohnehin nur eins gelten: den Auftritt bei der WM.

"Keiner stoppt Träumer Klinsmann"

Focus-Chefredakteur Helmut Markwort findet unter der Überschrift "Keiner stoppt Träumer Klinsmann" deutliche Worte für Klinsi und den DFB :

"Die DFB-Verantwortlichen haben die Nationalmannschaft einem Anfänger anvertraut. Das war eine bewusste Entscheidung. Er hätte ja lernen, sich mit vielen erfahrenen Bundesligatrainern verbünden und austauschen können. Aber Klinsmann, der schon als Spieler durch egomanische Züge auffiel, verzichtete auf die Hilfe. Er wollte aus dem Stand alles anders und besser machen. Ein Anfänger und ein Besserwisser – eine gefährliche Mischung." und : "Die DFB-Verantwortlichen dagegen schließen die Augen und hoffen auf Wunder."

Im Juni 2005 war unsere Fußballwelt noch in Ordnung

Wir sollten uns angesichts so viel Frust an den Confederation-Cup im Juni 2005 in Deutschland erinnern. Da waren wir alle begeistert über "Klinsi" und seine Mannen, obwohl sie es dann doch nicht ins Finale geschafft haben. Gewonnen haben die, die nach dem Spiel auch wussten, bei wem sie sich bedanken können.

Quellen: focus.de und dpa-Veröffentlichung

Autor: Uwe Schütz, 08.03.2006

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