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Sündenbock gesucht

Münsteraner Theologe sieht in Duisburg die uralte Suche nach einem Sündenbock

Loveparade-Plakat, Straßenwerbung in Duisburg für Loveparade 2010
Straßenwerbung in Duisburg für Loveparade 2010
Foto: Achim Hepp. Datei ist unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen

04.08.2010: Der Münsteraner Theologe Prof. Dr. Hans-Peter Großhans sieht in den öffentlichen Forderungen nach Rücktritt des Duisburger Oberbürgermeisters Adolf Sauerland den uralten Ruf nach einem Sündenbock. „Da wird ein Ersatz-Schuldiger gesucht, wenn kein richtig Verantwortlicher zu greifen ist“, sagte der Wissenschaftler des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Universität Münster der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) (Mittwoch).

„Man möchte schnell jemanden bestrafen.“ Daraus spreche auch das Bedürfnis, die Justiz selbst in die Hand zu nehmen. Doch „damit wäre überhaupt nichts gelöst“, unterstrich Großhans. „Als evangelischer Theologe muss ich sagen: Es ist nicht richtig. 21 Menschen sind gestorben. Das kann nicht auf diese Weise bewältigt werden.“

Der Begriff "Sündenbock" geht auf das 3. Buch Mose zurück

Prof. Dr. Hans-Peter Großhans
Prof. Dr. Hans-Peter Großhans
Foto: Julia Holtkötter
Der Begriff des Sündenbocks stammt nach den Worten des Experten aus der Bibel, dem dritten Buch Mose. Darin werde ein Ritual für die Entsühnung des ganzen Volkes Israel beschrieben. „Der Hohe Priester nimmt zwei Ziegenböcke. Einen opfert er. Dem anderen, der durch das Los bestimmt wird, überträgt er alle Vergehen und die Schuld des ganzen Volkes Israel. Er schickt den Ziegenbock mit all den Vergehen in die Wüste.“ Dabei sei nicht das Tier schuldig, sondern die Gesellschaft habe sich schuldig gefühlt, betonte der Theologe.

Ohne Sündenbock könnte sich die Spirale der Gewalt weiterdrehen

Zu Duisburg bestehen laut Großhans Parallelen. „Auch wenn dem einen oder anderen Amtsleiter dort juristisch keine Schuld nachzuweisen ist, wenn er im Verfahren zuvor alles ‘richtig‘ gemacht hat, muss er doch sehen: Es war nicht gut. 21 Menschen haben ihr Leben verloren.“ Nach Ansicht des Wissenschaftlers müsste eine große Scham ausbrechen. „Wieso sagt keiner: Ich war der Verantwortung nicht gewachsen, ich lasse mich ein oder zwei Stufen in der Verwaltungshierarchie degradieren.“ Als öffentliches Zeichen dafür könnte sich der Forscher ähnlich wie den Trauer-Gottesdienst auch einen „Buß-Gottesdienst“ zur Entsühnung in der Stadt vorstellen.

Neuere Theorien über den Sündenbock greifen dem Theologen zufolge die Frage auf, was passiert, wenn wie in Duisburg niemand Verantwortung übernimmt. „Normalerweise führt dies zu diversen Formen von gesellschaftlicher Aggressivität.“ Beenden könne diese Spirale der Gewalt bedauerlicherweise nur einer, der zum Sündenbock gemacht werde.

Quelle: Presseinformation des Exzellenzclusters "Religion und Politik" an der Westfälischen Wilhelms-Universität vom 04.08.2010