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Advent 2015

gesendet am 14. Dezember 2014 von Dr. Hans Frisch
Advent 

 

Dritter Advent ist heute, doch die Weihnachtsstimmung hat es in diesem Jahr besonders schwer sich einzustellen. Die Bilder des Terrors wecken unsere Ängste und die Bilder des anschwellenden Flüchtlingsstroms unsere Befürchtungen - besonders, weil dahinter die Bilder von Krieg und Elend kein Ende erwarten lassen.

Kaiser Augustus wollte als Friedenskaiser in die Geschichte eingehen

Advent heißt Ankunft - und was da auf uns zukommt ist nicht weihnachtlich - oder erst recht?
Geschehen ist das Weihnachten, welches wir feiern, vor 2015 Jahren. Die Zeit war gerade eine Weile scheinbar friedlich. Mit Kaiser Augustus fängt die Weihnachtsgeschichte an. - Er war der Herrscher des siegreichen römischen Weltreichs und wollte ein Friedens-Kaiser sein. Den Tempel des Kriegsgottes Mars in Rom ließ er versiegeln. Auch die Unruheprovinz Judäa war befriedet. Herodes hatte mit römischer Unterstützung die Königsmacht erobert - und sein Königtum war vom Kaiser anerkannt.

Judäa war eine Unruheprovinz

Die Juden sahen in ihm, dem Nichtjuden, aber einen Vasallenkönig, und keiner liebte ihn - im Gegenteil. Selbst in seiner Familie gab es Hass und Kampf. Drei seiner Söhne ließ er hinrichten, den letzten davon noch, als er schon auf dem Sterbebett lag. Auch seine geliebte Mariamne wurde Opfer seines Misstrauens. Ihren Tod hat er aber kaum verwunden. Im Lande war die Ruhe einer erfolgreichen Terrorherrschaft - wir kennen es aus unserer Geschichte. Die Spannung stieg, besonders unter den frommen Pharisäern, die aber durchaus nicht friedlich waren.

In dieser Zeit geschah es, dass ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.
Es war die erste Schätzung im römischen Reich - die Erfassung aller steuerpflichtigen Vermögen, vor allem Landwirtschaft und Immobilien. Alles wurde in Listen eingetragen, für jeden Ort im ganzen Reich. Damit alle Streitfragen geklärt werden können, musste jeder im Heimatort seiner Familie erscheinen, wo er Erbbesitz haben könnte, damit seine Steuerpflicht dokumentiert wird.

Der Heimatort von König David war Bethlehem, und Josef gehörte zur Davids Familie (auch noch nach 1000 Jahren). Das war eine große Familie, und es kamen noch andere Familien dazu. Es dürfte in dem kleinen Bethlehem ähnlich zugegangen sein wie in einem Flüchtlingsauffanglager.

Wir sind jetzt zehn Tage vor Weihnachten. Heute müsste einer aufbrechen, der zu Fuß von Nazareth nach Bethlehem gehen will, zum Weihnachtsfest in der Geburtskirche. Es sind 150 Kilometer.

Sie kamen rechtzeitig an - rechtzeitig zur Registrierung und rechtzeitig zur Entbindung. So wurde der verheißene Davidnachkomme in der Heimatstadt Davids geboren, wie der Prophet es verheißen hatte.
Wahrscheinlich nicht am 24. Dezember, aber das ist eine andere Geschichte.

Es war eine recht anstrengende, unruhige und auch gefährliche Geschichte - weihnachtlich wird sie dann erst mit den Hirten und den Engeln, später noch mit den Weisen aus dem Irak und dem Stern - doch danach gleich zur Fluchtgeschichte durch die wilden Wüstengebirge des Sinai bis nach Ägypten. So entkamen sie dem Terror des Herodes, der ihrem Sohn galt.

Heute: Das uralte Fest der Wintersonnenwende in christlichem Gewand

Wenn wir Weihnachtsbesuch von einem anderen Stern bekämen - nur für Heiligabend und den ersten Feiertag, der würde zuhause berichten von einem lebendigen, begeisterten und freudigen Glauben, von vollen Kirchen, frommen Liedern, einträchtigen Familien und vielen Lichtern in dunkler Nacht.

Bliebe er länger - Silvester wäre er schon irritiert, und in der Faschingszeit verstünde er gar nichts mehr. Von dem Kind, dessen Geburtstagsfeier er miterlebt hatte ist nicht mehr die Rede - und dabei war die Feier doch tief religiös und den Menschen wichtig.

Er müsste erkennen: dieses Geburtstagsfest ist für sehr viele der einzige Rest einer früheren lebendigen Religion, und wenn er genauer hinschauen würde, könnte er erkennen: im Grunde lebt hier das uralte Fest der Wintersonnenwende weiter in christlichem Gewand - denn dieses Fest wurde von der frühen Kirche zum Geburtstag Jesu erklärt. So konnte es weiter gefeiert werden - und die religiösen Bedürfnisse verlangten es.

Eingebettet in ein lebendiges Kirchenjahr mit Passionszeit, Ostern, Pfingsten, Trinitatis-Sonntag, auch Erntedankfest und privaten religiösen Ereignissen machte das Sinn - doch wenn Weihnachten als einziges dieser Feste überlebt, dann ist die Religiosität ziemlich heimatlos im Jahreslauf, und sie sucht sich hier und da Ersatz - denn religiöse Erfahrungen brauchte der Mensch von Urzeiten an, und es ist eine Illusion, dass dieses Bedürfnis erlischt mit dem nahenden Ende der Kirchen.

Die eigene Mitte finden

Das Religiöse liegt tief in jedem Menschen - es gibt der ersten Liebe die Macht und Heiligkeit, es wird geweckt durch große Musik oder erschütternde Naturbegegnungen, es strahlt aus dem ersten Lächeln unseres Kindes und begegnet uns beim Tod enger Freunde. Doch, es sucht nach einer Mitte, die uns mit dem Allen und uns miteinander verbindet.

Diese Mitte ist zunehmend schwieriger zu finden in unserer Zeit - und die Behauptung: "Es ist die Freiheit jedes Einzelnen, seine eigene Mitte zu finden und zu gestalten", erweist sich zunehmend als Irrweg - denn da bleibt als Mitte eigentlich nur der kleinste gemeinsame Nenner: Spaß auf allen Kanälen. (Was den Wert, die Größe und Bedeutung jeder einzelnen Mitte in keiner Weise mindert!) Die Gemeinsamkeit, die aus einem gemeinsamen Glauben stammt, entsteht dadurch nicht.

Und nun wird es schwierig!
Wie gefährlich eine religiös begründete Gemeinschaft ist, sehen wir in der Kirchengeschichte, in der europäischen Geschichte und der Weltgeschichte. Wir erleben dramatisch mit vor unseren Augen, wozu ein Missbrauch des Religiösen in Menschen führen kann, die sich da im Glauben verbinden.

Doch die Schwierigkeiten, die zu uns kommen mit dem Strom von Millionen frommen Menschen, die ihren Glauben ernsthaft leben, und leben wollen, (ohne Missbrauch!), und ihre Kinder bewahren wollen vor dem Ruf in die areligiöse Freiheit, - diese Schwierigkeiten werden wir zunehmend erleben. Es könnte uns guttun, ernsthaft nach der Ernsthaftigkeit unseres Glaubens an die Freiheit und Toleranz gefragt zu werden, von Menschen, die ihren Glauben ernst nehmen.

Musik

Das Experiment Willkommenskultur

Es startet ein einmaliges Experiment: Aus einer Kultur, in der fünfmal am Tage der Gebetsruf über die Stadt erklingt, gehört und beachtet wird, in der die Moscheen in sich regelmäßig zum Freitagsgebet füllen, und alle Männer (getrennt von den Frauen) verneigen sich bis zum Boden in der Unterwerfung unter Gott, in der Speisegebote und Fastengebote eingehalten werden, Almosengeben zum Alltag gehört, jeder möglichst mindestens einmal die Wallfahrt nach Mekka antritt, und alle vereint sind im Bekenntnis: "Allah ist der eine Gott" - aus dieser Kultur strömen Menschen zu uns.

Es ist unmöglich, von unserer Kultur in ihrer Vielfalt eine ähnliche Skizze zu zeichnen. Zwar erklingen Glocken in der Stadt, doch kaum einer hält inne; es gibt Gottesdienste in vielfältiger Form, doch die meisten Kirchen sind ziemlich leer; Männer und Frauen sind nicht getrennt, doch es sind oft nur sehr wenige Männer dabei. Speisegebote gibt sich jeder selbst - wegen Gewicht und Gesundheit. Die Fastenzeit ist eigentlich lediglich ein Ende der Faschingszeit. Pilgern tut man in den Urlaub oder zu Events - und das über allem stehende Glaubensbekenntnis ist: "Jeder ist frei, so zu leben wie er will - unter Beachtung einiger Regeln".

Der Schock der Konfrontation wird für die Flüchtlinge gemildert dadurch, dass diese fremde Welt sich als Willkommenskultur erweist - im Gegensatz zu der Schreckenskultur, zu der ihre Heimat geworden ist - mit religiöser Begründung. Das könnte ihnen helfen zu erkennen, dass sie in die beste zurzeit existierende Gesellschaft gekommen sind, die auch ihnen ihre Freiheit garantiert.

Die Verteilung an einzelne Orte bietet die Chance, Gettobildung und Absonderung zu vermeiden - so dass vielfältige persönliche Kontakte sich ergeben und Vorurteile verschwinden können. Gelingen kann das Experiment aber nur, wenn wir den ernsthaften Glauben der Ankömmlinge achten. Ich habe die Erfahrung gemacht: mit frommen Muslimen ist ein Gespräch über meinen und ihren Glauben leichter möglich als mit ungläubigen Christen.

Die Chance

Vielleicht sollten wir im Rest der Adventszeit einmal darüber nachdenken, wie wir muslimischen Flüchtlingen erklären können, was Weihnachten für ein Fest ist und warum wir es feiern. Dazu wäre etwas Bibelkenntnis aber notwendig - doch die Weihnachtsgeschichten in den Evangelien sind ja schnell gelesen. Wenn daraus ein neuer Kontakt zur Bibel entsteht, umso besser.

Der Koran über Jesus und Maria

Was der Koran zu Jesus und Maria sagt, ist nicht so leicht zu finden. Es steht in Sure 4 und Sure 19 - und ist interessant. Jesus wurde von der Jungfrau Maria geboren - nicht "gezeugt", sondern Allah sagte " Sei!" und das Kind war in Maria (so wie er Adam ins Sein gerufen hat). Durch Gottes Geist hat Jesus Wunder getan (schon als Kind) und das Evangelium verkündet. Er ist der Messias der Juden - doch die haben ihn abgelehnt.

Sie wollten ihn kreuzigen, doch Allah hat sie getäuscht, sie haben einen andern gekreuzigt (wahrscheinlich Judas). Jesus wurde von Allah in den Himmel genommen und wird von dort am Jüngsten Tag kommen zum Gericht über Christen und Juden - ja, über die ganze Welt.

Koran-Kenner, denen da Unstimmigkeiten auffallen, bitte ich um Nachsicht. Christen, die da nervös werden, sollten sich informieren. Der Aussage: "Wenn ich Mose nicht achte, Maria nicht ehre und Jesus nicht liebe, bin ich kein Moslem" stammt von meinem frommen muslimischen Freund - und der kennt den Koran.

Wer da einen Aufruf zu christlich-muslimischer Ökumene vermutet, den muss ich enttäuschen. Was uns zu Christen macht, ist der Glaube an Jesus Christus den Gekreuzigten - doch sollte der uns nicht zu Feinden machen.

Krippe ohne Kreuz?

Als ich dem muslimischen Freund erklärte, dass Jesus dort am Kreuz alles weggenommen hat, was uns von der Liebe und Gnade Gottes trennen könnte, da sagte er etwas traurig: "Die Gewissheit haben wir nicht".
Wenn sie die fünf Gebote gewissenhaft einhalten, dann können sie auf die gnädige Annahme durch Allah, den Barmherzigen hoffen. Eigentlich sind wir uns sehr nah.

Ich wünschte, dass viele Menschen das Geschenk Gottes in Jesus Christus erkennen und annehmen, denn dazu wurde Jesus vor 2.015 Jahren von der Jungfrau Maria geboren - und deshalb ist er seinen Weg bis ans Kreuz gegangen. Er ist bei Gott (bei Allah, wie dieser auf Arabisch heißt), doch die Himmelfahrt war erst nach Ostern, nicht vor Golgatha. Dass er wiederkommen wird, auch das ist das Thema von Advent.

Musik

Eigentlich könnten Christen und Muslime Weihnachten gemeinsam feiern als Geburtstag Jesu, Sohn der Jungfrau Maria, des Messias ("Maschia" auf Arabisch), des einmalig Gesandten Gottes. Es wären da mehr Gemeinsamkeiten des Glaubens als bei einem religiös verbrämten Gefühls- und Konsum-Weihnachtsfest. (In Indien, in Indonesien, in Nordafrika wird auch die Geburt des Propheten gefeiert - in diesem Jahr am 24. Dezember.)

Auch Epiphanias, bekannter als "Drei Könige", ginge noch zusammen - sogar eine Fastenzeit, denn Jesus wurde von den Juden verfolgt und gefangen genommen. Dann müssten die Muslime sich verabschieden. Sie könnten schon eine Art Himmelfahrt feiern, aber - dass Gott seinen Gesandten ans Kreuz nageln und sterben lässt, das erschien nicht nur Mohammed unmöglich. Manche christliche Gemeinschaften meinten, dort am Kreuz ist nicht Christus gestorben, sondern nur der Leib Jesu, der den Christus getragen hat - oder Ähnliches.

Doch gewissermaßen "der erste Schrei" der neugeborenen Kirche war die Predigt des Petrus an Pfingsten: "Der Jesus, den ihr gekreuzigt habt, durch die Hand der Heiden, den hat Gott auferweckt und zum Christus gemacht".

3.000 Juden haben das damals verstanden, erkannt und anerkannt durch die Taufe. Seitdem ist Kirche Christi in der Welt. Sie ist lebendig geblieben und gewachsen durch zwei Jahrtausende. Auf vielerlei Weise ist sie lebendig, auf vielerlei Weise ist sie schuldig geworden - doch sie lebt nicht aus ihrer Gerechtigkeit, sondern aus der Vergebung - und ihr Zeichen ist das Kreuz. Wo diese Mitte verloren geht, da geht die Kirche unter.

"Der gute Mensch in seinem dunklen Drange ist sich des rechten Weges wohl bewusst" meint Goethe - und zum Glück hatte er recht, und zum Glück gibt es viel mehr gute Menschen als böse - wir erleben es fast etwas erstaunt gerade mit, und auch die vielen Flüchtlinge sind überrascht davon.

Ob wir das wirklich schaffen wie unsere Kanzlerin meint (oder meinte), ist nicht sicher, denn auf beiden Seiten gibt es auch "Nicht Gute", die das Miteinander erheblich stören können, und es gibt auch fehlende Solidarität. - Ermüdung und Begrenzung der Mittel kommen noch dazu.

Doch Gott hat das Schiff seiner Kirche durch manche Stürme gebracht. trotz miserabler Kapitäne und meuternder Mannschaft, trotz manchem Leck und manchem Mastbruch hat er sie nicht aufgegeben - zu ihm dürfen wir beten, alle, mit diesem oder jenem Glauben, und auch ohne Glauben. Wir werden seine Hilfe nötig haben. Er hat uns seine Liebe zugesprochen dort am Kreuz, und Jesus hat in seiner Rede vom Gericht deutlich gesagt, dass dort die Taten der Nächstenliebe und Barmherzigkeit mehr Gewicht haben als das richtige Glaubensbekenntnis oder die richtige Theologie.

"Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht". So gerecht, dass er die Gnade nicht braucht, wird kaum einer sein - und mit dieser Gnade dürfen wir schon hier leben - wir brauchen sie nur anzunehmen.

Ich sage immer wieder dasselbe, doch das ist es wert - und ich weiß nichts Besseres.

Dr. Hans Frisch