zur AREF-Startseite

„Selber denken: Sieben Wochen ohne falsche Gewissheit“

gesendet am 9. März 2014 von Dr. Hans Frisch
 

Vor 31 Jahren hatten einige Journalisten und Theologen in Hamburg beschlossen:“Wir fasten sieben Wochen – von Aschermittwoch bis Ostern“ - und riefen in einer Kirchenzeitung auf zur Teilnahme. 70 Personen meldeten sich. Im nächsten Jahr waren es schon 300 – und in diesem Jahr nehmen 3 Millionen teil an der Fastenaktion der evangelischen Kirche: „Sieben Wochen ohne“.

Fastenaktion "7 Wochen Ohne"  unter dem Motto: „Selber denken! Sieben Wochen ohne falsche Gewissheiten“.
Die Fastenaktion 7 Wochen Ohne läuft vom 5. März, bis zum Ostersonntag, dem 20. April 2014 und steht in diesem Jahr unter dem Motto: „Selber denken! Sieben Wochen ohne falsche Gewissheiten“. Fast drei Millionen Menschen beteiligen sich jährlich an der Fastenaktion, die seit 31 Jahren dazu einlädt, die Passionszeit bewusst zu erleben. Weiter Infos zur Aktion finden Sie in der Pressemitteilung im Anhang und unter www.7-wochen-ohne.de .

„Ohne“, „Geiz“, „ohne Zaudern“, „ohne Scheu“, „ohne Ausreden“, „ohne falschen Ehrgeiz“, „ohne Vorsicht“ waren die Themen in den letzten Jahren - und diesmal: „Selber denken: Sieben Wochen ohne falsche Gewissheit“.

Am Mittwoch war die närrische fünfte Jahreszeit vorbei - noch genügend Bedenkzeit, ob man sich auf „Selber Denken“ einlassen will. Eins ist gewiss: der Verzicht auf falsche Gewissheiten wird schwierig, kompliziert und ist letztlich unmöglich, denn es ist ein unendlicher Prozess.

Wir sind geneigt, unser Gewissheit zu suchen in dem, was wissenschaftlich bewiesen ist.
Die Gewissheit, dass die Erde eine Scheibe ist wurde schon früh abgelöst von der Erkenntnis, sie ist eine Kugel - doch, dass Sonne, Planeten und die Fixsternsphäre sich um uns dreht, war so gewiss, dass der Zweifel daran lebensgefährlich war.

Schließlich waren die Gesetze der Gravitation, bewiesen, die Planetenbahnen berechnet, auch Magnetismus und Elektrizität erkannt und die Physik hatte eigentlich alles erklärt.
Als Max Planck seinem Professor in München erklärte, er will nach Berlin gehen und theoretische Physik betreiben, da meinte dieser: „Da ist doch alles bekannt, etwas Neues werden Sie nicht finden. Höchstens hier und da noch etwas aus den Ecken herauskratzen“.
Es ist nicht bekannt, was Professor Jolly zu Planks Entdeckung der Quantenwirklichkeit gesagt hat - wahrscheinlich ist er sich seines Weltbildes bis zum Ende gewiss gewesen. Plank konnte die Konsequenzen seiner Entdeckung zunächst selbst nicht ganz glauben - Albert Einstein musste ihm helfen.
Dessen Relativitätstheorie ist noch schwerer zu verstehen als die Quantenmechanik, doch er war sich seiner Sache sicher. Nur passte sie nicht ganz zu dem Weltall, wie es bekannt war, als vorgegebener Raum. Ein Korrekturfaktor war nötig, sonst hätte man einen wachsenden Kosmos annehmen müssen - und das konnte ja gewiss nicht sein.
Einige Jahre später entdeckte Hubbel die Rotverschiebung des Sternenlichts. Daraus folgt zwingend, dass sich die Galaxien voneinander entfernen, also der Kosmos sich ausdehnt. Einstein lehnte diese Behauptung einer Expansion des Kosmos jahrelang ab - doch er musste seine Gewissheit aufgeben und nannte die Zweifel bald: „Die größte Eselei meines Lebens.“

In die Gefilde der schwarzen Materie und dunklen Energie, der atomaren und der kosmischen Stringtheorien und der Multiversen wollen wir gar nicht hineinschauen – hier verstehen wir sicher nichts und unsere grundlegenden Gewissheiten lösen sich auf in mathematische Formeln.

Musik

Es ist fantastisch, wie die Wissenschaft eine falsche Gewissheit nach der anderen beseitigt, seit Jahrtausenden – und immer schneller. Schade, dass die Hoffnung auf eine endgültige Gewissheit dadurch nicht erfüllt wird, eher das Gegenteil. Jede Antwort gebiert neue, meist noch schwierigere Fragen.

Die Erde ist eine Kugel – sagte Columbus und segelte nach Westen um den fernen Osten zu erreichen. Seine Entdeckung brachte europäische Goldgier auf den neuen Kontinent und den Untergang einer gewaltigen Kultur.
Die Gesetze der Gravitation erklärten die Planetenbahnen - und sie ermöglichten präzise Berechnungen von Kanonen- und Raketenbeschuss. Die Formel E=mc² erklärt die Energie der Sonne und der Sterne - und die Zerstörungskraft der Atombombe.
Ohne Quantentheorie gäbe es nicht die digitale Welt und mit ihren Schwindelerregenden Möglichkeiten - und deren unheimlichen Gefahren.
Hier und da regt sich schon die Sehnsucht nach der guten alten Zeit.

Doch das alles sind nicht die Themen für „sieben Wochen ohne“ – die lauten: „selber denken“, „selber suchen“, „selber reden“, „selber handeln“, „sich selber prüfen“, „selber bekennen“, „selber leuchten“ – und das „ohne falsche Gewissheiten“.
Klingt wirklich wichtig und gut, leider ist es allenfalls vorübergehend möglich - vielleicht für sieben Wochen.

Um selber zu denken brauche ich die Gewissheit, dass ich denken kann, dass ich Wahrheit erkennen kann, dass es sinnvoll ist. Doch jede Sicherheit erweist sich bei genauer Prüfung als ungewiss - und wo ich den Zweifel nicht mehr zulasse, wird meine Überzeugung, zu der ich gelangt bin, zur Ideologie.
Mit größter Gewissheit hatte Karl Marx die Ursachen des Unheils im Frühkapitalismus erkannt - er schrieb „Das Kapital“, und „Das Kommunistische Manifest“.
„Nur die Beseitigung der Kapitalisten führt ins Heil“ - so verstanden die russischen Revolutionäre die Erkenntnis von Karl Marx - und der „real existierende Sozialismus“ zeigte, wie böse eine Ideologie werden kann.
Das geht auch viel in viel kleinerem Maßstab - ich kenne kaum eine Gewissheit, die nicht falsch sein könnte - und doch kann ich ohne Gewissheiten nicht selber denken.

„Selber suchen ohne falsche Gewissheiten“ ist das Thema der zweiten Woche. Da bleibt mir ja gar nichts anderes übrig, wenn ich selber denke und keine wirkliche Gewissheit finde - ich muss suchen. Ich bin umstellt von einem Jahrmarkt der Angebote, es ist fast wie in einem Dschungel, durch den ich mir einen Pfad schlagen muss mit der Machete meiner kritischen Vernunft. Das ist anstrengend, und irgendwann gehen wir doch mit auf ausgetretenen Pfaden und feiern mit bei allgemeinen Festen.

„Selber reden“ können wir eigentlich nur, wenn wir uns gewiss geworden sind – doch reden wir mit anderen, die andere Gewissheiten haben - genauso sicher wie wir die unseren. Bei einer Bundestagsdebatte können wir da zuschauen - schier unglaublich, dass dies funktioniert seit Jahrzehnten (und in der Ukraine konnten wir sehen, wie schlimm es wird, wenn es nicht funktioniert!)
Auch hier geht es kleiner. Sprich einfach hier und da Menschen an - du wirst staunen, was für Gespräche sich ergeben und wirst dich ärgern, wie viel solcher Begegnungen du bisher nicht erlebt hast.
„Selber reden“, dass verlangt Mut, Toleranz und Geduld - so wie auch das „selber handeln“.
Wir waren unserer Sache ganz gewiss in der Erziehung unserer Kinder – in manchem sind die inzwischen ganz gewiss, dass dies falsch war.
Letztlich bleibt nur die Möglichkeit: „Man kann es auf verschiedene Weise falsch machen, ich mache es so.“

Natürlich muss man sich immer wieder selber prüfen - aber bitte nicht zu streng.
„Selber bekennen“ und „selber leuchten“, das gelingt erst, wenn man sein Credo, sein Glaubensbekenntnis gefunden hat und seine Erleuchtung.

Musik

Selber denken, suchen, reden, handeln, prüfen - ohne falsche Gewissheiten, das alles wäre möglich, wenn es sichere Gewissheiten gäbe.

Dass Denken nicht zur endgültigen Gewissheit kommen kann, ist ein Prinzip der Wissenschaft, selbst wenn sie immer wieder falsche Gewissheiten überwindet und so den Raum der sicheren Erkenntnisse unglaublich ausgeweitet hat - bis zur sicheren Landung auf dem Mond, Sonden auf dem Mars und demnächst sogar auf einem Kometen. Die endgültige Gewissheit ist wissenschaftlich nicht zu erreichen.

Beim Suchen wird die Unsicherheit schon deutlicher sichtbar - ich muss entscheiden, was ich suche und in welcher Richtung, mit dem Risiko, dass am Ende die Enttäuschung steht.

„Selber reden“ führt unweigerlich in Konfrontation mit anderen, die etwas anderes meinen und reden, (wenn wirklich Gespräch ist, nicht nur small talk). Doch ohne Gespräche werden die Gräben zwischen uns immer tiefer und breiter - auch das Handeln wird dann die Distanz und die Unterschiede vergrößern.

Um uns selbst zu prüfen brauchen wir einen Maßstab, dessen Gültigkeit wir anerkennen - vor allem für uns, bevor wir andere damit messen.

Damit kommen wir zum Bekennen. Wenn ich mich zu einem Maßstab bekenne, werde ich mit diesem gemessen, und das kann peinlich werden. Wir können es in den Medien immer wieder miterleben, nicht nur bei der Steuer und beim Doping..

Wenn die Christen sich zu dem Maßstab der Bergpredigt bekennen, dann finden sie sicher immer wieder Grund, auch ihr Versagen zu bekennen.
Und von den Kritikern oder Feinden der Kirchen wird ihnen das Versagen vor diesem Maßstab immer wieder vorgeworfen - was natürlich nicht beweist, dass die Kritiker ihn einhalten. Mancher von denen will vielleicht damit unbewusst verstecken, dass er keinen verbindlichen Maßstab hat.

Wir sind in der Passionszeit angekommen und denken nach über eine Fastenaktion der evangelischen Kirche. Ziel ist die Vorbereitung, die bewusste Einstellung auf Karfreitag – und wenn die Aktion Sinn haben soll, muss sie von diesem Ziel, von diesem Punkt, von diesem Ereignis her betrachtet und beurteilt werden.

Jesus ist dort in einen qualvollen Tod gegangen - er behauptet für mich und Dich!
Kann ich zwei Jahrtausende danach mit meinem eigenen Denken Zugang dazu finden? Bei all den Angeboten, all den Verführungen, all den Verstrickungen - kann ich da selbstständig suchen nach dem Angebot, dass Er für mich ist?
Bin ich bereit, selbst davon zu reden, um ins Gespräch zu kommen mit andern die auch auf der Suche sind?
Kann ich Entscheidungen treffen und selbst handeln aus der Erkenntnis die ich gefunden habe?
Und bei dem allen kann nur ich selber mich prüfen.

Wenn ich bei dieser Prüfung durchfalle - vielleicht nicht ganz so schlimm wie Petrus, als er Jesus dreimal verleugnete - dann steht Jesus vor mir, voll Achtung vor meiner ehrlichen Absicht und der richtigen Erkenntnis meines Versagens, und fragt mich: „Hast du mich lieb?“ Und selbst, wenn mein schwaches Bekenntnis nur lautet: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“ - er nimmt es für ein volles Ja und nimmt mich voll Liebe an.

Wer das erlebt, im Kern seines Selbst, da wo seine Angst und seine Hoffnung sitzt, da wo er seine tiefste Sehnsucht spürt, da wo er lieben will und Liebe braucht - dem wird es hell und der beginnt da selber zu leuchten.

Eine Fastenaktion „sieben Wochen ohne“ könnte uns helfen, etwas von dem allen, was diesen Kern unseres Selbst zuschüttet und verdunkelt, beiseite zu räumen, damit Licht und Luft hinein kommen.

Dr. Hans Frisch