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Totensonntag

gesendet am 20. November 2011 von Dr. Hans Frisch
 

Das Jahr neigt sich dem Ende zu - das Kalenderjahr in etwas mehr als einem Monat, das Kirchenjahr in einer Woche, nur das Wetter tut so, als wären wir noch im goldenen Oktober. Doch wer schon am 11.11.11 um 11:11 Uhr in die fünfte Jahreszeit eingetreten ist, der sollte jetzt abschalten - denn, von den Feiertagen her, ist der November nicht lustig!

Es fängt an direkt nach dem Reformationstag mit "Allerheiligen", dann "Allerseelen", später folgt "Volkstrauertag", danach "Buss- und Bettag" und heute "Totensonntag" - wobei dieser Tag verschiedene Namen hat: "Letzter Sonntag im Kirchenjahr" (denn nächsten Sonntag ist erster Advent, und da beginnt das neue Kirchenjahr), "Tag des Jüngsten Gerichtes" und in letzter Zeit meist "Ewigkeitssonntag". In der katholischen Kirche ist es der "Christkönigstag".

In einer Zeit, in der viele nicht wissen, was für Feste Karfreitag, Ostern und Pfingsten sind, dürften die Festtage im November allenfalls dem Namen nach (oder als "arbeitsfrei") bekannt sein - doch sind AREF-Hörer da wohl eine positive Auslese. Trotzdem ist es immer wieder interessant, einmal genauer hinzuschauen. Am Allerheiligentag waren wir auf Sendung - wer sich dafür interessiert kann den Beitrag unter aref.de nachlesen.

Es ist schon interessant, dass Allerheiligen eingerahmt ist von Halloween am Tag davor und Allerseelen am nächsten Tag - denn bei beiden geht es um die Seelen der Verstorbenen. Bei den Kelten kamen die Toten des vergangenen Jahres in der Nacht zum 1. November noch einmal zurück, um sich zu rächen für zugefügtes Leid oder Unrecht - die Masken sollten sie abschrecken.

Bei Allerseelen geht es um die Seelen der Verstorbenen die im Fegefeuer für Sündenschuld und Unrecht leiden, bis sie geläutert sind und in den Himmel dürfen. Durch Bussleistungen, Gebete und gute Taten können die Angehörigen ihr Los erleichtern, die Zeit verkürzen - ja, an diesem Tag sogar einen "vollkommenen Ablass" erreichen, so dass die Seele in den Himmel eingehen kann. Das funktioniert aber nur bei Katholiken.

Heute am Christkönigstag kann jeder katholische Christ für sich selbst einen vollkommenen Ablass erlangen -, wenn er (nach Beichte, Absolution und Eucharistie) in Gemeinschaft das Weihegebet mitspricht: "O liebster Jesus, Erlöser". Wenn er danach sterben sollte, ohne noch einmal zu sündigen oder schuldig zu werden, dann kommt er nicht ins Fegefeuer, sondern gleich in den Himmel.

Doch "Christkönigsfest", das ist viel mehr als Möglichkeit, Ablass zu erlangen. Es wurde eingeführt 1925, als einige Kaiserreiche und Königreiche in Deutschland, in Österreich und Russland im Ersten Weltkrieg untergegangen waren - da wurde die "Königsherrschaft Christi" ausgerufen - und in der Nazizeit hatte dieses Fest wohl eine große Bedeutung für den Bestand der Kirche.

Nun sind wir aber nicht katholisch, nicht mal evangelisch-lutherisch - und eigentlich ist für Freikirchen heute ein ganz normaler Sonntag, was uns aber nicht daran hindert, uns über Totengedenken und Ewigkeit Gedanken zu machen. Das wollen wir nach der Musik versuchen.

Musik

Totengedenken ist so alt wie die Menschheit

Der Totensonntag ist fast 500 Jahre alt (Allerseelen über 900 Jahre) aber Totengedenken ist uralt - eigentlich so alt wie die Menschheit. Die frühesten Kulturzeugnisse sind Grabbeigaben - und die zeigen deutlich die Vorstellung: "Der Gestorbene lebt weiter", deshalb bekommt er Schmuck, Waffen, oft auch Speisen, und nicht selten sein Personal mit, entweder als Figuren oder echt als mit ins Grab eingeschlossene Diener und Sklaven. Und immer aufwändiger wurden die Grabstätten (für die Mächtigen und Reichen) bis zu den Pyramiden - zum ewigen Gedächtnis. Wozu der Aufwand?

Einige Vermutungen drängen sich auf: der nahende Tod macht Todesangst. Die Vorbereitung eines prächtigen Grabes erzeugt die Hoffnung darauf, dass er nicht das Ende sondern der Eingang in ein neues, anderes Dasein ist.
Im prächtigen und feierlichen Begräbnis erfahren die Beteiligten den Zuspruch, dass es so ist - und auch mit ihnen so sein wird, wenn ihr Tod kommt.
Von den Grabstätten und den Begräbnissen der Mächtigen und Reichen strahlt diese Zuversicht dann aus auf die umgebende Gemeinschaft.
So könnte das Wissen um den Tod und die Angst vor dem Tod im innersten Kern einer Gesellschaft prägende Kraft entfalten.
Wo die Hoffnung und die Zuversicht über den Tod hinaus erlahmen, da wird vieles notwendig, um die Angst zu verdrängen oder zu kompensieren. Da kann es hilfreich sein, wenn das Gedenken an die Toten und an den Tod gemeinsam bewusst gemacht und thematisiert wird, auch in tröstlichen Handlungen an den Gräbern.
Man weiß nicht genau, aus welchem Anlass der Preußenkönig 1816 den Totensonntag staatlich verordnet hat, aber es war ein Treffer! Außer in Hamburg steht in allen Bundesländern die Stille des Tages bis heute unter besonderem Schutz - es muss also ein bleibendes Bedürfnis dafür geben.
Der Name Totensonntag ist aber im Schwinden - er ist schon weitgehend ersetzt durch "Ewigkeitssonntag", als ob der Blick geöffnet werden soll über das Grab hinaus in eine helle, bleibende Zukunft, in die unsere Gestorbenen vorausgegangen sind. Das Fegefeuer der katholischen Kirche kommt dabei nicht ins Bild - meist auch nicht die Begegnung mit dem Heiligen Gott.

Verständlich, wenn immer mehr Menschen meinen: für eine solche Perspektive brauche ich keine Kirche - die Ewigkeit erwartet mich so oder so. Und so begeht man diesen Tag doch als "Totensonntag", als Gedächtnistag an die toten Eltern, Verwandten, Freunde - wahrscheinlich sind auch die meisten Normalkatholiken nicht um Ablass bemüht. Das Nachdenken über den eigenen Tod, was könnte es bringen?

Musik

Gibt es eine letzte Gerechtigkeit?

Ich vermute, viele von uns glauben nicht, dass die Seelen unserer Verstorbenen im Fegefeuer leiden, bis sie schließlich geläutert sind und in den Himmel dürfen - auch nicht, dass wir durch Gebete und anderes ihr Leiden abkürzen (oder bei vollkommenem Ablass) beenden könnten. Die werden sich auch heute am Christkönigstag der katholischen Kirche nicht um einen vollkommenen Ablass für sich selbst bemühen, mit dem sie gar nicht ins Fegefeuer müssten für ihre bisher angesammelte Schuld und Sündenlast.

Doch die meisten von uns sperren sich wohl gegen den Gedanken: "Im Tod sind alle gleich - der Täter und das Opfer, die Betreiber und die Opfer von Konzentrationslagern und Gulags, die missbrauchen und die Missbrauchten, die Nazis und die Opfer des Widerstandes."

Nein - es muss eine letzte Gerechtigkeit geben auch wenn ich mir nicht vorstellen kann wie. Wer sollte da Recht sprechen?

Im alten Ägypten sind es 43 Gottheiten, vor denen sich die Seele verantworten muss und zuletzt das "negative Sündenbekenntnis" ablegen: eine lange Liste der Untaten die sie nicht begangen hat:

Ich habe kein Unrecht gegen Menschen begangen, ich habe keine Tiere misshandelt. Ich habe keinen Gott beleidigt. Ich habe nicht getötet, usw. usw.
Allenfalls der Pharao war davon ausgenommen. Sonst traf es Herren und Knechte in gleicher Weise!
Das ist über 4.000 Jahre alt, und es ist sicher nicht die älteste Vorstellung vom Jüngsten Gericht. Doch wer konnte vor so einem Gericht für unschuldig erklärt werden?

Den ägyptischen Toten wurden Papyrusrollen unter den Kopf gelegt, auf denen die richtigen Antworten standen, damit sie durchkommen - denn Gnade kennt dieses Gericht nicht. Es ist offensichtlich: an der Grenze des Todes ist die Frage und die Vorstellung eines Jenseits entstanden - und von diesem Jenseits aus kommt die Frage nach dem richtigen Menschsein.

Auch in einer Zeit, in dem die Frage nach dem Jenseits immer mehr verblasst bleibt die Notwendigkeit, ein Urteil über den Menschen, über das Menschsein zu finden, das durch den Tod nicht aufgehoben wird. Die 43 ägyptischen Gottheiten können wir nicht mehr aufrufen zum Richten - uns bleiben nur zwei Deutungsmöglichkeiten: "Gott ist", oder "Gott ist nicht". Wenn Gott nicht ist, bleibt die Frage nach einer Gerechtigkeit über den Tod hinaus offen - wenn Gott ist, dann müsste er sich im Laufe der Menschheitsgeschichte so offenbart haben, dass wir etwas von ihm wissen können, dass wir sein Urteil über das Menschsein erkennen.

Wer den ägyptischen Sündenkatalog liest, der beim Gericht im Totenreich gilt, wird zugeben, dass dort schon die gleichen Themen ausgesprochen wurden, die uns heute noch bewegen: Lüge, Raub, Habgier, Missbrauch von Kindern, Hochmut, unehrlicher Reichtum, Ehebruch, jemand Leid und Schmerzen zufügen, jemand hungern lassen - sogar Mobbing ist zu finden.

Im jüdischen Gesetz ist dieser Katalog gewissermaßen konzentriert auf zehn Gebote - doch verbunden mit etwas Neuem: Wer das Gesetz verletzt - und umkehrt, Buße tut, bezeugt durch das Sündopfer, dem wird vergeben - und Vergebung war für das Volk Israel und das Volk der Juden wahrlich immer wieder notwendig. "Wie sich ein Vater über seine Kinder erbarmt", so ging Gott mit seinem Volk um - doch seine Liebe und sein Erbarmen gilt allen Menschen.

Maßstab für das Urteil über ein Menschenleben bleiben die nicht nur in Ägypten und in der Bibel formulierten Gesetze, aber neu ist die Botschaft: "Wie weit Du dich auch verirrt hast, wie tief Du auch gefallen bist in Sünde und Schuld, du darfst umkehren, darfst dich Gott zuwenden - denn er hat sich dir zugewandt in absoluter Gnade - Jesus hat sie am Kreuz besiegelt, aus Liebe zu dir und zu mir.

Das Wissen um ein jüngstes Gericht hat sicher Menschen von manchem Bösen zurück gehalten - die Erkenntnis: "Ich bin bedingungslos geliebt", die könnte zu manchem Guten befreien. Stell Dir vor, es ist der Schöpfer der Welt, der Dir seine Liebe schenkt - plötzlich ist der Sonnenaufgang sein Geschenk an Dich, das Singen der Vögel ein Dankgebet, in das Du einstimmen kannst, Menschen, die Dir begegnen sind Schwestern und Brüder, denn er ist auch ihr Vater, und Deine Toten sind in seinem Frieden und in seiner Liebe.

Der Preis? Nur das Wagnis des Glaubens - das ist zwar schwerer als es klingt, aber was würde sich mehr lohnen?