zur AREF-Startseite

Bücher

gesendet am 25.10.2009 von Dr. Hans Frisch
 

Lese-Entchen als Andenken von der Frankfurter Buchmesse
Lese-Entchen als Andenken von der Frankfurter Buchmesse © Frankfurter Buchmesse; Pressefoto www.buchmesse.de

Die Welt ist reicher geworden - 124.000 neue Bücher gibt es im vergangenen Jahr. Das wäre ein 3 m hohes Buchregal rings um den Nürnberger Hauptmarkt. Wenn acht Menschen in einem fünfzigjährigen Berufsleben täglich 8 Stunden lesen würden - könnten sie es schaffen - aber ohne Pause, ohne Sonntage und ohne Urlaub.
Doch von jeder Neuerscheinung dürfte die Auflage 1.000 Stück erreichen, dann wäre das Regal schon vom Hauptmarkt in Nürnberg bis zum Wenzelsplatz in Prag, 3 m hoch - nun ja, da könnten 8000 Mann ein Leben lang nur lesen an den neuen Büchern eines Jahres.

Ich habe nicht nachgerechnet, wie lange ich lesen müsste, um die Bücher in unseren Regalen, die ich unbedingt noch lesen will, wirklich zu lesen - aussichtslos! Und trotzdem erliege ich immer wieder der Versuchung, und kaufe noch ein Buch. Dann sitze ich vor dem Regal, sehe die Titel: Geschichte der Hunnen, Geschichte der Phönizier, des Deutschen Reiches, des Christentums; Schriften von Goethe, Schiller, Martin Luther, Christian Morgenstern, und, und, und, und - Gedichtbände und Bildbände, Fachbücher und Liederbücher - und in jedem wartet eine ganz eigene Welt auf mich, geduldig zwischen den Buchdeckeln, wartet und lockt.

Ich fürchte, ein Besuch der Buchmesse würde mich in Verzweiflung stürzen - so viel Neuland, das ich nie betreten werde, so viele Menschen, denen ich nie begegnen kann, soviel Wissen, das mir für immer entgeht, so viel Schönheit, und ich werde sie nicht sehen, soviel Poesie die Menschenherzen anrühren wird.

Doch bin auch ich reicher geworden, die geistige Landschaft, in der ich wandernd unterwegs bin, ist weiter geworden, farbiger, spannender - auch wenn ich nur in meinem Garten und meinem Park unterwegs bin. Ein gutes, großes Gefühl!

Doch wo bin ich, wenn ich eintauche in ein Buch? Ich verlasse meine Wirklichkeit und lasse mich ein auf eine Begegnung, viele Begegnungen, in einer anderen Welt - jenseits der meinen. Diese Welt ist entstanden in dem Schreiber des Buches. Ich vertraue mich seiner Führung an, und in mir entsteht eine eigene Wirklichkeit mit Freude und Angst, Erregung und Entspannung, mit Entdeckung und Einsichten. Dann schließe ich das Buch, und ich fühle mich eingeweiht in sein Geheimnis - doch bleibt es in mir verborgen. Ob ich das erlebt habe, was der Schreiber erlebte, werde ich nie erfahren - und wirklich weitergeben kann ich es auch nicht, denn jeder erlebt das Gehörte und Gelesene in sich, auf seine Art. Allenfalls so, wie der Bericht von einem Urlaubsort, den der andere auch kennt.

Bleiben wir also allein, trotz der vielen Begegnungen in Büchern und der vielen Gespräche über Bücher?

Musik

"Ob wir allein bleiben trotz der Begegnungen in Büchern oder Gesprächen über Bücher?" war die Frage.
Ohne Bücher wären wir viel mehr allein. Kaum irgendwo gibt es intensivere Beziehungen als die zwischen dem Autor und dem Leser (von intimen Beziehungen abgesehen). In seinem Text offenbart er seine Sicht auf die Welt, bringt seine Emotion, sein Denken, sein Wünschen und seine Ängste ein, so dass ich davon berührt werde, vielleicht sogar gepackt. Mit meiner Emotion, meinem Denken, meinen Wünschen und Ängsten antworte ich darauf - es ist ein Dialog im Fortgang des Lesens.
Sicher gibt es da auch viel Geschwätz, zum Teil sehr unterhaltsames. Doch stehen in meiner Biografie einige Bücher an wichtigen Weichenstellungen.

Ein Buch über Nihilismus von Helmut Thielicke hatte unser Deutschlehrer mir mitgegeben, als ich nach Berlin zum Studium fuhr. Es hat mit den Zugang zu philosophischem Denken geöffnet. Ein Gedicht in diesem Buch von Christian Morgenstern machte mich zum Fan von Palmström und Korf. Es ist eine Reihe von solchen Büchern - gar nicht lang.

"Mythen, Mysterien und Träume", ein Titel von Mircea Eliade, einem Religionsforscher - ich bekam es von einem Patienten geschenkt - es war der Anfang zu einer Entdeckungsreise in das weite Feld der Religionen.

Von Poesie, von Wissenschaft, von Geschichte wäre zu erzählen. Zufallsbegegnungen wurden zu Freundschaften, und führten auf Wege und in Abenteuer. Sehr viel ärmer wäre mein Leben ohne diese Bücher gewesen - obwohl ich nur wenigen Autoren persönlich begegnet bin. Tatsächlich ist jenseits der Grenze, die wir im Lesen überschreiten, eine Wirklichkeit, wichtiger als vieles diesseits der Grenze. Ein Bild kommt mir: der Baum treibt Blätter im Frühling und blüht, bietet Schatten im Sommer, Frucht im Herbst, und gibt das Laub ab im Winter - für einen neuen Beginn.

So könnte man ein Buch sehen, Blatt um Blatt gewachsen, es erblüht beim Lesen, gibt Erholung in der Hitze des Alltags, bietet mehr oder weniger gut schmeckende Frucht, manche ist ungenießbar - und die vielen Blätter landen nach dem Lesen im Regal.
Dann wäre die Buchmesse ein Wald im Frühling.
Was wir nicht sehen und nicht schmecken: diese Blätter entgiften die Atmosphäre vom Abgas unserer Arbeit, im Austausch gegen Sauerstoff. Und die süßen Früchte spenden nicht nur Genuss und Nahrung - Vitamine, Lebensstoffe, schenken sie uns unbemerkt. Und geduldig wachsen unter diesem dauernden Schenken und Spenden Stämme heran, die unserem Wohnen Halt und Struktur geben.
Ich glaube, mit diesem Blick würde ich mich auch in den Dschungel der Frankfurter Buchmesse wagen - vielleicht nächstes Jahr.

Musik

Bücher, Bücher, Bücher - jede Bibliothek, die vollständig bleiben will, braucht dieses Jahr zweihundertfünzig Meter neue Regale, 3 m hoch!
Auch der Bibliophile, der Buchliebhaber, wird wohl manches entdecken können.
Sicher sind auch Bibelausgaben dabei, doch in denen steht immer dasselbe, allenfalls in anderen Übersetzungen - und das schon seit vielen Jahrhunderten.
"Biblia", "das Buch", ist wirklich das "Buch der Bücher".
Vor zweieinhalb Jahrtausenden wurden die heiligen Schriften der Juden kanonisiert, zum Buch zusammengestellt, und erstmals wurde ein Buch im Zusammenhang aufgeschrieben, es ist immer noch unverändert geblieben, bis heute.
Viele Autoren kommen darin zu Wort, doch alle sagen Gottes Wort - so glauben es die Juden und die Christen, und auch die Moslems.
Auch Jesus glaubte es, und er wusste: "Dieses Wort redet von mir, es meint eigentlich mich."
Vieles geschah, was diesen Glauben bestätigte, und bis zur bitteren Konsequenz hielt er diesen Glauben durch - er starb am Kreuz für die Menschen, wie die Propheten es geschaut hatten und wie er es in dem Buch gelesen hatte.
"Das Wort wurde Fleisch", so hat Johannes das ausgedrückt.

Danach geschah vieles, was den Jüngern bestätigte: "Er ist wirklich der, von dem das Wort Gottes redet." Sie erzählten es weiter und sie verkündeten das Evangelium, die frohe Botschaft von Jesus Christus.
Die Erzählungen wurden später aufgeschrieben, es kamen Berichte und Briefe dazu, die erst nach fast vierhundert Jahren kanonisiert wurden zum Buch, dem "Neuen Testament". Das wurde mit dem "Alten Testament", dem jüdischen Buch zusammengefasst zur "Biblia", zum Buch, und diese Biblia wurde das erste gedruckte Buch, es war die Geburtsstunde des Buchdrucks.
Kein Buch der Welt wurde so oft abgeschrieben, gedruckt, gekauft, verschenkt und gelesen wie die Bibel; keins wurde so genau untersucht, analysiert, übersetzt und überliefert wie dieses; keins hat so viele Menschen bewegt, erschüttert, getröstet, beunruhigt, verändert, geheilt; keins ist so vielfältig ausgelegt, so verschieden verstanden, so schlimm missbraucht, so sehr verehrt worden; keins ist so lange so lebendig geblieben. Vom keinem kann so mit Recht behauptet werden: "Es ist das Wort Gottes."

Acht Personen müssten 50 Jahre lang pausenlos lesen, um die Neuerscheinungen eines Jahres zu bewältigen - Milliarden Menschen haben sich ein Leben lang mit diesem Buch beschäftigt, viele haben ihr Leben dem Dienst an diesem Buch geweiht, sehr viele sind für die Botschaft dieses Buches gestorben - und viel mehr haben durch dieses Buch ihr eigentliches Leben gefunden.
Wer es liest, der tritt auch ein in eine eigene Wirklichkeit - doch da ist nicht ein Autor mit seinen Emotionen, seinem Denken, seinen Wünschen und Ängsten, denen er begegnet, er begegnet der Geschichte eines Volkes, dessen Geschichte weitergeht und in dessen Geschichte unser Volk schuldhaft tief verstrickt ist. Ohne dieses Buch gäbe es dieses Volk nicht.
Er begegnet einer Botschaft, die ihn ganz persönlich sucht - ohne dieses Buch könnte er diese Botschaft nie vernehmen; er hört das Liebesbekenntnis Gottes für ihn - ohne dieses Buch könnte er sie nicht wahrnehmen und nicht darauf antworten.
Ich glaube, mit Recht heißt dieses Buch "Biblia", "das Buch". Auch für mich ist es Wort Gottes.

Trotz Stürmen und Unwettern, trotz Dürre und Vereisungen ist durch das Licht, das mit diesem Wort ins Menschsein strömt, ein Stamm herangewachsen, der für das Abendland Struktur und Halt gegeben hat.
Schon viele haben versucht, diesen Baum zu fällen, auch in unserer Zeit - und wir sind Zeugen ihres Scheiterns geworden.
Wenn es stimmt, was in dem Buch steht, dann werden die wirklich massiven Bedrohungen erst kommen, manches scheint sich schon anzukündigen.
Wichtig ist, dass wir im Verkehrs- und Discolärm der Welt nicht das Gehör für Gottes Wort verlieren, und dass wir uns im Gestrüpp der Angebote und Verlockungen nicht so verlieren, dass wir den Baum nicht mehr finden.

Auch deshalb bleibt AREF auf Sendung.

Dr. Hans Frisch