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Erntedank

gesendet am 02.10.2005 von Dr. Hans Frisch
 

Ein reich geschmückter Altar mit Früchten und Gemüse aus dem Anbau in der Pfarrgemeinde Nassenfels. In der Mitte die Erntekrone mit Brot
© by Markt Nassenfels www.altmuehlnet.de Foto: Josef Hollinger

Erntedankfest ist heute - wer in die Kirche geht sieht den geschmückten Altarraum - mit Früchten, bunten Kürbissen, Sonnenblumen, Getreidegarben, Brotlaiben und auch verpackten Lebensmitteln. Mit der Lebensmittelabteilung bei Karstadt können diese Präsentationen nicht konkurrieren - sie sind auch nur für einen Sonntag. In den Kaufhäusern bleiben Sie das ganze Jahr über.

Da wird auch ein Problem sichtbar, das wir mit dem Erntedankfest haben - die Traditionskette ist gebrochen. Denn, wie sollen wir ein Gefühl für Ernte bekommen, wenn das überreiche Angebot an Lebensmitteln unverändert durch die Jahreszeiten bleibt?

Saat und Ernte hautnah

Ich gehöre zu der aussterbenden Generation, die noch den Rhythmus von Saat und Ernte ganz konkret - hautnah - miterlebt hat. Lasst euch einmal mitnehmen in die Zeit meiner Jugend. "Hautnah", das ist wörtlich gemeint! Mit der Hand wurde das Getreide auf das glatt geeggte Feld gestreut, immer eine Handvoll aus dem umgehängten Saattuch, in gleichmäßigem Schwung.

Bald kamen die Sämaschinen auf - von Pferden gezogen brachten sie die Saat in geraden Reihen in den Boden. Doch geerntet wurde noch einige Jahre mit der Sense. Hinter dem Schnitter, meist meinem Vater, wurde das Getreide zu Garben zusammengefaßt, aus zwei Getreidebüscheln wurde ein längeres Bund zusammen geknotet zum Binden der Garben. Das war wirklich hautnah. An den Disteln im Getreide war das zu spüren, die waren schön trocken und ihre abgebrochenen Stacheln blieben in der Haut. Auch das Stroh und die Stoppeln zerkratzten und zerstachen die bloße Haut der Arme und auch der Beine, denn lange Hosen oder Ärmel waren bei der Hitze unmöglich - und geerntet wurde nur bei schönem, warmen Wetter. Die Garben wurden dann zu Hocken aufgestellt - auf alten Bildern von Erntefeldern sind sie noch zu sehen - dort konnten sie nachtrocknen bis die Ernte eingefahren wurde.

Die Erntefuhre ist das eigentliche Bild für Ernte: ein hoch beladener Wagen, gezogen von starken Pferden. Die letzte Fuhre geschmückt mit dem Erntekranz.
Doch vorher mußten die Garben auf die Fuhre gereicht werden, eine nach der andern mit der Gabel, zuletzt geworfen, wenn die Fuhre voll war. Oben waren wir Jungen, denn die Fuhre mußte gepackt werden, möglichst gerade, damit sie bei der Fahrt zur Scheune nicht ins Rutschen kommt. Diese Fahrten gehören zu den schönsten Erinnerungen aus dieser Zeit: hoch oben auf dem schwankenden Erntewagen, im Stroh ausgestreckt, den blauen Himmel mit den weißen Wolken im Sonnenschein, in wohlverdienter Ruhe - bis zum Abladen in der Scheune. Und bei allem das Wissen: das ist die Ernte - Säcke voller Weizen, Roggen, Gerste oder Hafer für die Pferde. Auch schon der Appetit auf das frische Brot, von der Mutter selbst gebacken mit Wurst vom Schlachtfest.
So war das seit Jahrtausenden, bis in meine Jugendzeit.

* * * Musik * * *

Ernte heute

Das klingt schon romantisch, die Erinnerungen an hautnah erlebte Ernte. Die Fahrt auf der Erntefuhre war es wirklich, alles andere war echt Arbeit. Wenn unsere Versorgung mit Lebensmitteln heute noch so geschehen würde, die Preise wären astronomisch. Heute ernten zwei oder drei Personen ein großes Feld in wenigen Stunden ab, alles gleich gedroschen und mit dem Traktor ins Silo gefahren, das Stroh in Ballen gepresst, verpackt in Plastikfolie. Vielleicht haben wir zufällig etwas davon gesehen bei der Fahrt durch die Landschaft.

Wenn der Winter lange dauert, freuen wir uns über die guten Skipisten, wenn der Sommer heiß ist, über das Badewetter, wenn Gewitter übers Land ziehen sind das beeindruckende Bilder für uns. Dass Bauern dabei um die Aussaat, um das Wachstum und um die erntereifen Felder bangen, davon haben wir kaum eine Ahnung, denn unsere Versorgung ist in unserer vernetzten globalisierten Welt gesichert. Da ist es gar nicht leicht, ein wirkliches Erntedankfest zu feiern. Wenn man die Feste feiern soll, wie sie fallen, wie kann man dann ein Erntefest feiern ohne Ernte?

Solltest du in die Verlegenheit kommen, eine Erntedankpredigt oder -Rede halten zu sollen, kein Problem. Im Internet gibt dir Google bei "Predigt-Erntedank" 18.700 Seiten, da findet du bestimmt was. Wir können versuchen, das Thema aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, da wird es für mich spannend.
Saat und Ernte, das ist nicht erst seit Menschengedenken ein zentrales Ereignis, denn "Saat" steht für Pflanzenwachstum und "Ernte" für Ernährung durch Pflanzen.

Was uns so selbstverständlich erscheint, ist ein unvorstellbares Wunder

Was uns so selbstverständlich erscheint, ist ein unvorstellbares Wunder: Da fällt ein kleines Korn in die tote Erde, es treibt Wurzeln aus, die Wasser und Mineralien aus dem Erdreich aufnehmen und treibt Blätter, die aus Kohlendioxyd mit Energie aus dem Sonnenlicht Kohlenstoff abspalten und daraus Pflanzensubstanz entstehen lassen, Nahrung für Tier und Mensch. Zugleich geben Sie den Sauerstoff aus dem CO2 in die Atmosphäre ab, zur Atmung für uns.

Das klingt wie ein Laborversuch, aber es ist ein gigantischer Prozeß in dem die Sonne Jahr für Jahr Millionen und aber Millionen Tonnen Pflanzeneiweiß und Sauerstoff aus Erde und Luft erzeugt. Sonnenlicht ist die einzige Energiequelle für alles Leben, für das Plankton im Meer und die Waale, für die Wälder und die Tiere, für die Felder und die Menschen, ja, auch der Motor der Technik ist Sonnenlicht, denn Kohle, Öl und Erdgas sind Sonnenenergie, gesammelt in Millionen Jahren.

Das alles ist nur möglich, weil die Erde die passende Zusammensetzung hat, die genau richtige Entfernung von der Sonne - sonst wäre das Wasser gefroren oder verdunstet - einen Mond, dessen Fliehkraft die Erdachse stabilisiert, das richtige Alter, in dem die Entwicklung des Lebens geschehen konnte und, und, und.
Alles hätte auch ein wenig anders sein können - dann gäbe es nicht Saat und Ernte, und uns auch nicht.
Wer da nicht staunen kann, der hat mich nicht verstanden.

* * * Musik * * *

Das Erntedankfest hat tiefe Wurzeln

Um das Wunder von Saat und Ernte in den Blick zu bekommen müssen wir innehalten, uns sammeln, nachdenken. Die früheren Menschen, besonders die frühen Menschen lebten damit, und sie spürten - manchmal beängstigend - daß sie dadurch und davon lebten. Sie waren dem Wachstum der Saat und dem Ertrag der Ernte ausgeliefert - so ist es verständlich, dass sehr früh wichtige Mythen entstanden sind um dieses fundamentale Geschehen. Mit heiligen Spielen - ganz früh wahrscheinlich sogar mit Menschenopfern - wurde die Aussaat vollzogen, und den Mächten, die eine gute Ernte schenkten, wurden die ersten Früchte, auch die erstgeborenen Tiere und sogar die erstgeborenen Söhne geopfert. Für den Weg mit dem Gott Abrahams wurde das Menschenopfer abgeschafft, aber das Erntedankfest wurde und wird in Israel eine ganze Woche lang gefeiert, als Laubhüttenfest - es beginnt in zweieinhalb Wochen.

So hat dieses Erntedankfest tiefe Wurzeln, und es ist kein Wunder, dass es durch die Jahrtausende lebendig geblieben ist, so wie Saat und Ernte lebendig blieben.
Aus dem Opfer für die Mächte, die gnädig gestimmt werden mussten, wurde der Dank an den gnädigen Gott, der Segen schenkt aus Liebe.

Erntedankfest - Die Zeit, einmal wieder richtig hinzuschauen

Heute ist die Teilnahme am Rhythmus von Wachsen Reifen weitgehend abgerissen, die Einstimmung auf ein Dankfest, die sich früher mit dem Abschluss der Ernte einfach ergab, die wirkt bei uns etwas gewollt, wie eine Übereinkunft: "Dann wollen wir mal danken." Es sind schon gute Predigten nötig, um uns da ins Danken hinein zu nehmen.

Wenn wir bedenken, wie Silvester und Neujahr uns helfen, das vergangene Jahr zu betrachten und das neue Jahr anzunehmen, wie das Weihnachtsfest uns Gelegenheit gibt, unsere Liebe und Zuneigung auszudrücken, wie die Geburtstage dem Strom unserer Lebenszeit Struktur geben, dann können wir das Erntedankfest als Anlass nehmen, einmal hinzusehen, wie viele Lebensmittel, Lebensmöglichkeiten und Lebensfreude wir in einem Jahr bekommen haben - eigentlich geschenkt, denn viele Menschen gibt es, die sich genauso anstrengen wie wir - und sie bleiben arm.

Und wenn wir dann sehen, dass im Grunde all der Reichtum aus dem Licht der Sonne kommt, dann müsste es ganz schön hell werden in uns. Mir geht es so, dass ich richtig froh werde, weil ich eine Adresse habe an die ich meinen Dank richten kann. Der Schöpfer der Welt will mich hier und heute in dieser Welt - dann ist alles, das Sonnenlicht, die wachsende Ernte und die blühenden Blumen, das Brot zum Essen und der Wein zum Genießen, auch der Erfolg meiner Arbeit und das Glück der Liebe SEIN Geschenk - dafür sollte es schon einen "Dankfeiertag" geben.

Dr. Hans Frisch

Radiobeiträge zum Kirchenjahr