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Bibel-Flash
Esra und Nehemia
gesendet am 01.05.2004 von Gerhard Marsing
 

Ein Jude namens Benaja, Tempeldiener in Jerusalem ca. im Jahre 445 vor Chr.:

Der Mauerbau

Eines Morgens ging ich wieder zum Tempel, um meinen Dienst anzutreten. Dort angekommen, hörte ich aufgeregte Stimmen, die hin und her redeten. Es hieß, dass heute Nacht eine Truppe von Leuten beobachtet wurden, die um die Stadt und die noch immer nicht aufgebaute Stadtmauer herumschlichen. Die Unruhe war verständlich, da immer wieder unsere Feinde um uns her in die Stadt schlichen und Unfrieden stiften wollten. Doch bald stellte sich heraus, dass es keine Feinde waren. Eine Gruppe von unseren Brüdern aus Babylon war unter der Führung eines gewissen Nehemia angereist, um zu helfen, vor allem die Stadtmauer von Jerusalem wieder aufzubauen. Dann ging alles recht schnell. Wir wurden bald alle eingeteilt, jeweils in Gruppen an einem bestimmten Abschnitt der Mauer zu bauen. Ich war zu einer Gruppe eingeteilt, die das südliche Stadttor wieder herrichten sollten. Wir arbeiteten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Die Arbeiten schritten recht flott voran. Immer wieder hörte man von Androhungen und Angriffen unserer Feinde, die den Mauerbau verhindern wollten. So wurden nicht nur Arbeitstrupps, sondern auch rund um die Uhr Wachen eingeteilt. Eines Abends saß ich nach getaner Arbeit mit anderen zusammen auf den Stufen des Tempels, als wir ein paar Meter weiter diesen Nehemia mit einigen seiner Leute sitzen sahen. Wir setzten uns vorsichtig zu ihnen und hörten zu, was sie sich zu sagen hatten. So erfuhren wir bald die ganze Geschichte, die Nehemia dazu brachte, hierher zu kommen. Nehemia war der Sohn von Hachalja, dessen Familie wie alle damals, die das Massaker der Schergen des Königs Nebukadnezar überlebt hatten, nach Babylon deportiert wurde. Nach der Befreiung unseres Volkes durch den Perserkönig Cyrus kehrten viele vor fast 80 Jahren wieder nach Jerusalem zurück, wie auch mein Großvater. Nehemias Familie aber blieb, wie viele andere auch, in Babylon. Mittlerweile war Artaxerxes der Nachfolger von Cyrus. Nehemia war der Mundschenk des Königs und damit einer seiner engsten Vertrauten und quasi dessen rechte Hand. Eines Tages hörte Nehemia, dass es seinen Brüdern in Jerusalem sehr schlecht ging und er sprach mit seinem Herrn und König darüber. Dieser entsandte ihn schließlich, ausgestattet mit allen Vollmachten, als Stadthalter nach Judäa. Und so ist er jetzt hier um sein erstes Ziel, den kompletten Wiederaufbau der Stadtmauer und damit der Sicherheit Jerusalems voranzubringen. Bald nach dieser Nacht feierten wir in ganz Jerusalem ein Fest, die Stadtmauer war wiederhergestellt. Was keiner glauben konnte, die ganze Stadtbefestigung war nach nur 52 Tagen Arbeit vollendet. Wir dankten alle unserem Gott, dass er mit unserer Hände Werk und entgegen allem Spott und den feindlichen Attacken dieses Wunder vollbracht hatte.

 

Ordnung und Gesetz in Jerusalem

Wieder einmal hatten wir alle Hände voll zu tun. Schon seit einigen Tagen versammelten sich die Leute der ganzen Stadt auf dem großen Platz. Alle hatten irgendwo eine Hütte aus Laub gebaut und übernachteten darin. Das Ganze war ein riesiges Fest, das wir noch nie gefeiert hatten. Irgendwann früher vor mehreren Hundert Jahren soll das eine regelmäßige Sitte gewesen sein. Esra, unser oberster Priester hatte dieses Fest nun wieder angeordnet. Ein großes Ziel dieses Festes war es, dass das ganze Volk wieder mit der Geschichte und mit dem Gesetz, das Gott uns gegeben hatte, neu vertraut gemacht werden soll, da es recht in Vergessenheit geraten war. So wurde allen das ganze Gesetz vorgelesen und die Leviten verteilten sich und erklärten in Gruppen allen noch einmal das Gehörte. Und das viele Tage lang. Es war nicht nur interessant das alles zu hören. Irgendwie kam eine ganz seltsame Stimmung im Volk auf. Auch ich wurde davon erfasst. Denn mit der Zeit wurde uns allen erst einmal wieder so richtig klar, was in unserer Geschichte schon alles passiert war und wo unserer Gott uns immer wieder geführt und reich beschenkt hatte aber auch immer wieder bestraft hatte, um einzelne oder das ganze Volk wieder auf den rechten Weg zu bringen. Unser Gott, der die Welt erschaffen hat, der Abraham zum Stammvater eines großen Volkes gemacht hat. Er hat unser Volk in der Hungersnot nach Ägypten geführt, uns dort durch Mose wieder aus der totalen Versklavung befreit und uns trockenen Fußes durch das Meer geführt, in dem dann unsere Verfolger untergingen. Gott hat uns durch die Wüste geführt und mit Wasser und Brot versorgt. Er hat uns das verheißene Land wiedergegeben und uns gegen alle Feinde immer wieder geschützt. Doch das Volk hat sich trotz aller Führungen und Wunder immer wieder gegen Gott aufgelehnt. Es hat gemurrt über das Mannah in der Wüste und dort ein goldenes Kalb als neuen Gott verehrt und damit Gott selbst verhöhnt. So wurden uns alle Taten Gottes und alle Taten des Volkes neu vor Augen geführt und uns wurde immer mehr klar, wie sehr Gott uns, sein Volk liebt und wie sehr das ganze Volk immer wieder Berge von Schuld auf sich geladen hatte. Alle schlugen sich vor die Brust und auch ich musste manchmal bitterlich weinen über uns Volk, das Gott immer wieder so sehr enttäuscht, ihn vergessen und ihn sogar verhöhnt hatte. Es wurde uns auch klar, warum Gott das Volk auch immer wieder bestraft hatte und zuletzt ganz in die Hände der Babylonier gegeben hatte. Dann aber konnten wir uns umso mehr wieder freuen über all das, was Gott uns Gutes getan hat und uns immer wieder bewiesen hat, wie sehr er uns doch liebt. Wir feierten ein fröhliches Fest, dankten und priesen Gott, dass wir wieder hier in Jerusalem zusammen feiern konnten. Mir persönlich und vielen anderen wurde folgende Verheißung Gottes, die er damals dem Mose gegeben hatte, sehr wichtig: „Wenn ihr mir untreu werdet, will ich euch unter die fremden Völker zerstreuen; wenn ihr aber zu mir zurückkehrt, auf meine Gebote achtet und sie befolgt, werde ich sogar die, die ich bis ans äußerste Ende der Erde verstoßen habe, von dort zurückholen. Ich will sie heimbringen an den Ort, den ich erwählt und zum Wohnsitz meines Volkes bestimmt habe.“

Gerhard Marsing