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Gedanken zum 9. November gesendet am 09.11.2003 von Jan Henning Mehlfeldt
 

9. November

Das heutige Datum, der 9. November, drängt einem dieses Thema geradezu auf, denn schließlich gibt es zum heutigen Tag eine Menge "Gedenktage".

  • Heute vor 85 Jahren, am 9. November 1918, durch Philipp Scheidemann in Berlin die Deutsche Republik ausgerufen.

  • Vor 80 Jahren, am 9. November 1923, versuchte Hitler in München zum ersten Mal, politische Macht zu erlangen.

  • Der 9. November ist auch der Tag, an dem 1938 - heute vor 65 Jahren - Schlägertrupps jüdische Geschäfte und Gotteshäuser in Brand setzten; es ist der Tag, an dem Zehntausende Juden mißhandelt, verhaftet oder getötet wurden in der so genannten "Reichskristallnacht".9. November 1989:Fall der Berliner Mauer

  • Der 9. November erinnert uns aber auch an erfolgreichen Widerstand und Bürgermut. Wir erinnern uns an den unglaublichen und darüber hinaus unblutigen Fall der Mauer am 9. November 1989 heute vor genau 14 Jahren. Wir erinnern uns an die überglücklichen feiernden Menschen an den Grenzen und an all die Trabis, die in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten diese unglaubliche Wendung der Deutschen Geschichte auf unseren Straßen dokumentierten.

All das sind Ereignisse, deren man am Heutigen Tag gedenkt. Aber warum tun wir dies eigentlich ? Was bringt uns die Erinnerung ?

Warum an Dinge erinnern, die längst vergangen sind, oftmals vor unserer Geburt passiert sind und sowieso nicht mehr zu ändern sind. ?

Hat sich die heutige Zeit nicht so grundlegend verändert, daß ein Vergleich mit der Geschichte immer "hinken" muß ?

So könnte man zum Beispiel argumentieren, dass nach der Sektlaune über die Wiedervereinigung heute doch eher Katerstimmung angesagt ist, angesichts der nach wie vor großen wirtschaftlichen Probleme in den neuen Bundesländern. Warum also Erinnern ?

Und ist eine neue Reichskristallnacht in unserer heutigen Demokratie nicht undenkbar geworden? Warum also erinnern ?

Und wer war eigentlich Phillip Scheidemann? Kennt den heute überhaupt noch jemand ?

Warum also erinnern ?

Doch wer so argumentiert, hat den eigentlichen Sinn des Erinnerns, des Gedenkens nicht Verstanden.

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Erinnern - Warum ?

Warum also macht es heute noch Sinn uns an vergangene Ereignisse zu erinnern ?

Bei Gedenkfeiern heißt es häufig, man soll aus der Vergangenheit lernen.

Lernen und begreifen, dass z.B. das Dritte Reich tatsächlich möglich war, weil Millionen von Menschen, unsere eigenen Groß- und Urgroßeltern, dieses Reich bejubelt haben und für diese Idee in den Krieg gezogen sind. Sie haben sich blenden lassen und wurden durch die damaligen Regierenden und deren Propaganda manipuliert.

So wurde unsägliches Leid über Europa gebracht durch Menschen wie du und ich! Darum sollten wir uns der Reichskristallnacht erinnern, damit uns so eine ideologische Verblendung nicht noch einmal ereilt, erst dann haben wir tatsächlich aus der Vergangenheit gelernt.

Nun könnte man viel über die Notwendigkeit des Gedenkens an die Verbrechen der Nazizeit sagen, und ich hoffe, das wird an diesem Tag noch vielfältig geschehen. Auch wird man am heutigen Tage viel über die Wiedervereinigung hören können und über die Notwendigkeit von Reformen um Deutschland wieder nach "Vorne zu bringen"...

Ich möchte heute jedoch neben diesen historischen Ereignissen auch über ein anderes Erinnern mit Ihnen nachdenken. Ich möchte über Ereignisse mit Ihnen nachdenken, die wir häufig verdrängen, weil ein Erinnern uns vielleicht unbequem ist. An Ereignisse, für die es keinen Gedenktag gibt, obwohl ein Lernen aus dieser Geschichte ebenso angebracht wäre. Ereignisse, die uns vielleicht viel intensiver berühren als der Mauerfall vor 14 Jahren. Und ich meine dabei keine Ereignisse, die durch irgend jemanden, irgendwann einmal gemacht wurden, sondern Ereignisse, die uns so nahe gehen, weil es Ereignisse unserer eigenen Geschichte sind, über die wir nachdenken wollen. Oftmals macht es Sinn, im Leben einfach mal innezuhalten und darüber nachzudenken, wo man z.Zt. im Leben steht und wie man dahin gekommen ist. Das heißt nicht, dass man immer gleich seine Memoiren schreiben muss, obwohl dies ja nach Bohlen, Naddel & Co. momentan ein "angesagter" Zeitvertreib geworden ist, nein, ich meine, einfach mit ein wenig Abstand die eigenen Entscheidungen im Leben betrachten und bewerten. Das muss nicht zwangsläufig in ein selbstmitleidiges "wo wäre ich heute wenn ich DIES oder JENES getan oder gelassen hätte" ausarten, sondern kann auch mit sehr viel staunen über den eigenen Lebensweg geschehen.

- - - Musik - - -

Erinnern - Rückblick auf das eigene Leben

Es gibt übrigens einen interessanten Unterschied bei der Betrachtung des eigenen Lebensweges, den ich in Gesprächen mit Christen und Nichtchristen festgestellt habe:

  • Die Nichtchristen berichten im Rückblick auf ihr Leben häufig von vertanen Chancen. Sie grämen sich, nicht diesen EINEN Job damals angenommen zu haben, nicht diese EINE Frau angesprochen zu haben oder in einer besonderen Situation nicht das EINE Gesagt oder besser NICHT gesagt zu haben.

  • Christen, mit denen ich spreche, berichten dagegen oftmals von der erstaunlichen Führung, die sie durch Gott erfahren haben. Über das Wunder, dass ich nach einer vermeintlich vertanen Chance plötzlich eine viel größere aufgetan hat, an die man vorher niemals gedacht hätte. Oder wie man nach Situationen, von denen man nicht wusste, wie man sie je bewältigen sollte, heute im Rückblick sagen kann, dass sich doch eine Lösung aufgetan hat. Und gerade ältere Christen, die alle Wirren der Nachkriegszeit, mit Not und Ungewißheit, erlebt haben, berichten von einer wunderbaren Führung, die sie im Rückblick auf ihr Leben erkennen können.

Im Erinnern an die eigene Vergangenheit zeigt sich all zu oft, dass sich die eigenen Ideen eben nicht immer verwirklichen ließen, die eigenen Wege eben nicht immer ans Ziel führten und die eigenen Planungen sehr schnell überholt wurden. Um so wichtiger ist für uns Christen, dass wir wissen, dass Gott "seine Leute" nicht im Stich lässt, dass Gott für unser Leben einen Plan bereit hält und uns durch unser Leben führt.

  • Erinnern heißt, aus der Vergangenheit lernen, heißt, Fehler nicht noch einmal zu wiederholen.

  • Für mich heißt Erinnern aber auch, dankbar und demütig für meinen Lebensweg zu sein.

Dankbar, dass ich wissen darf, dass es dort einen gibt, dem ich nicht egal bin und der mich hält, auch wenn ich es nicht immer bemerke. Aber auch demütig über die großartigen Wege, die ich oftmals erst im Nachhinein in meinem Leben erkannt habe, und über deren Ineinandergreifen ich nur staunen kann. Diese Gewissheit gibt mir Mut im Altag, sie gibt mir Mut, wenn ich nicht weiter weiß. Sie gibt mir Mut, wenn sich Probleme auftun, die mir unüberwindlich scheinen. Ich kann mich darauf verlassen, daß mein Gott mich nicht im Stich läßt ! Welch ein Vorrecht in dieser hektischen und unsicheren Zeit.

Jan Henning Mehlfeldt

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