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Der islamische Konflikt

gesendet am 19. September 2014 von Dr. Hans Frisch
IS - Der aktuelle islamische Konflikt 

 

Wer schon einmal versucht hat, den islamischen Konflikt zu verstehen, dessen Gewalt schon in einigen schweren Kämpfen sichtbar wurde und der sich jetzt in dem Schlachten der salafistischen ISIS-Kämpfer offenbart, der wird die Zweifel verstehen, ob das Thema einer Sendung sein kann. Im Grunde bleibt es unverständlich - wie alle Religionskriege, zu denen wohl auch die ideologischen Kriege gehören. Wir wollen trotzdem versuchen hinzuschauen - vielleicht bekommen wir eine Ahnung von den Gründen, und das wäre mehr und besser als ratloses Zuschauen.

IS - Abweichler werden als „todeswürdig“ eingestuft

IS-Flagge mit dem ersten Teil der Schahada, dem Glaubensbekenntnis des Islam (fünf Säulen des Islam)
IS-Flagge mit dem ersten Teil der Schahada, dem Glaubensbekenntnis des Islam (fünf Säulen des Islam)

Der Grund des jetzt tobenden Konflikts - besser des jetzt tobenden Massakers, denn ein Überfall ist ja eigentlich kein Konflikt - ist nicht leicht zu erkennen und von rational denkenden Menschen kaum zu verstehen: Moslems - besonders fromme Moslems - überfallen mit einer schwer bewaffneten Armee friedlich lebende Moslems, um einen Gottesstaat nach ihrer ultrafrommen Vorstellung zu errichten und dessen Ausdehnung gewaltig zu vergrößern.

So sieht dieses Schlachten aus der Ferne aus. Die Beteiligten und die Betroffenen würden der Aussage: „Moslems überfallen Moslems“ sofort widersprechen: „Die Sunniten überfallen uns Schiiten“ - oder: „Wir rechtgläubigen Sunniten kämpfen für den Willen und im Auftrag Allahs gegen die vom rechten Glauben abgefallen Schiiten.“ Und schon da müssten die meisten von uns aussteigen - denn wer weiß schon, was Schiiten von Sunniten trennt, so absolut, dass es um Tod und Leben geht.

Religionskriege in der Geschichte

Wir könnten versuchen, andere Religionskriege, die näher bei uns waren, anzuschauen, zum Beispiel den dreißigjährigen Krieg. Was trennte Katholiken und Evangelische so absolut, dass es Tod und Vernichtung über unser Land brachte. Es war wohl die vom Papst religiös begründete Macht des Kaisers (und seiner Dynastie) gegen den Macht- und Souveränitätsanspruch der Fürsten und Könige, die jetzt auch durch die evangelische Kirche eine religiöse Legitimation bekamen. Ohne eine solche Legitimation hätte keine Macht sich etablieren können - zu tief saß die Angst vor der ewigen Verdammnis beim Tod ohne Sakramente.
Als Belohnung für Treue und Gehorsam versprachen die Kirchen den Zugang ins himmlische ewige Leben. Dass die Mächtigen („von Gottes Gnaden“) im Wohlstand lebten und immer mehr Reichtum häuften, das war Teil der göttlichen Ordnung - und für die Geistlichkeit, die das dem Volk predigte, fiel einiges von dem Reichtum ab.
Zurück zum Islam!

Mohammeds Berufung

Pilger in Mekka, Saudi-Arabien. Haddsch , Umschreiten der Kaba
Pilger in Mekka, Saudi-Arabien. Das siebenmalige Umschreiten der für Muslime heiligen Kaaba in der Mitte des Platzes ist der wichtigste Bestandteil der Haddsch, der Pilgerreise der Muslime nach Mekka. Foto: Ali Mansuri bei wikipedia.de unter Creative Commons-Lizenz Namensnennung

Ähnlich wie Luther seine Berufung erlebte als „Turmerlebnis“, so wurde Mohammed berufen in einem „Höhlenerlebnis“. Er folgte der Berufung und schrieb auf, was ihm diktiert wurde, wieder und wieder, über Jahre - so entstand der Koran mit 114 Suren.

Doch während Luther ein bekanntes Buch, geschrieben in Jahrhunderten von vielen Autoren, plötzlich neu verstand, musste Mohamed ein ganzes Buch schreiben, völlig allein. Er kannte die Geschichten der Bibel - auf seinen Handlungsreisen war er Juden und Christen begegnet - und viele Geschichten, ja, die wichtigsten Botschaften der Bibel gingen ein in sein Buch, denn seine Offenbarung kam von dem einen Gott, der die Welt geschaffen hat. Der zu Adam gesagt hatte „SEI!“ und er war, der Abraham berufen hat, auch Moses und David, und Jesus aus der Jungfrau Maria.

Diesen einen Gott verkündete er in einer Stadt und einer Gesellschaft, die viele Götter kannte und verehrte und Geschäftsbeziehungen hatte zu vielen anderen, die auch ihre Götter hatten und verehrten. Da störte die Predigt von dem einen Gott nicht nur die eigene religiöse Gewissheit, sondern auch das Geschäft. Mohammed musste aus Mekka fliehen - doch in einer Oase, in der Araber und Juden zusammen lebten, da wurde er aufgenommen. Er einigte die zerstrittenen arabischen Gruppen mit seiner Botschaft - auch die Juden stimmten zu. So wurde er ihr Führer.

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Erst Verteidigung, dann Angriff

In einer Oase zu überleben, ohne in die Geschäfts-und Handelsbeziehungen, die von Mekka aus gesteuert wurden, war schwierig. Da gab es aber die in der Wüste bekannte Möglichkeit der „Razzia“. Karawanen wurden überfallen und mussten eine Art Zoll zahlen (Sie durften weiterziehen, sollten sie doch als Einnahmequelle wiederkommen).

Die Leute von Medina waren unter Mohammeds Führung dabei besonders erfolgreich – und das störte das Handelszentrum Mekka sehr. Aus der Stadt machte sich eine Armee auf, um das Räubernest zu vernichten. So wurde der Prophet Mohammed zum Anführer im Kampf. Seinen Männern versprach er: “Jeder, der im Kampf stirbt, ist sogleich im Paradies“ - und der Autor des Koran fand sicher Bilder und Verheißungen, die das Paradies verlockend machten. So kämpften sie den schier aussichtslosen Kampf mit Todesverachtung, manche wohl mit Todessehnsucht - und wurden siegreich. Es war der erste Sieg - und für lange Zeit die einzige Verteidigungskampf. Es folgte eine siegreiche Eroberungsschlacht auf die nächste. Als erstes Mekka, dann auch die ganzen Küstengebiete der arabischen Halbinsel zum Roten Meer.

Nach Mohammeds Tod gingen die Eroberungen weiter und das Heer wuchs und wuchs. Schließlich bestand ein riesiges islamisches Reich von der Grenze zu Indien bis nach Spanien.

Mohammeds Nachfolger und Spaltung

Verbreitung des Islam. Staaten mit überwiegend islamischem Bevölkerungsanteil sind farbig - Grün: sunnitische Gebiete, Rot: schiitische Gebiete, Blau: Ibaditen (Oman) Quelle: wikipedia.de

Mohammed hatte keinen Sohn als Nachfolger – sein Neffe Ali heiratete Fatima die Lieblingstochter des Propheten. Es schien selbstverständlich, dass er der Nachfolger wird. Doch eine Gruppierung wählte einen anderen Kalifen - erst als vierter Kalif kam Ali ins Amt. - Doch bald wurde er ermordet. Sein Sohn verzichtete auf die Nachfolge, angesichts einer übermächtigen Gegnerschaft – doch sein Bruder Hussein zog in den Kampf. Er wurde verraten und getötet. Bis heute ist die Trauer über Hussein lebendig unter den Anhängern Alis. „Shia at Ali“ – „Partei des Ali“ nennen sie sich „Schiiten“. Manche von ihnen geißeln sich am Gedenktag von Husseins Tod bis aufs Blut.

Die Schiiten haben einen geistlichen Führer – dem „Imam“. Die Mehrheit der Moslems folgt gewählten Kalifen - das sind die „Sunniten“. „Sunna“ bedeutet „Brauch, gewohnte Handlungsweise, überlieferte Norm“ – hier: „sunnat an-nabi“, die „Handlungsweise des Propheten“. Die Trauer der Schiiten über Hussein ist zugleich eine Anklage an seine Mörder, die Sunniten.

Daraus entstand eine Feindschaft, ähnlich wie die Feindschaft der Christen zu den Juden, die „ihren Jesus“ getötet haben. Was wir jetzt miterleben, ist etwas Ähnliches wie die Progrome im Mittelalter - allerdings mit umgekehrtem Vorzeichen: Die Anhänger des Opfers werden Opfer der Täter.

Sunniten und Schiiten berufen sich auf dasselbe Buch

Und doch berufen sich beide auf ein Buch – wie Christen und Juden, so auch Schiiten und Sunniten – doch, wie bei den Christen tiefe Gräben entstanden, so auch bei den Muslimen. Ein zentraler Punkt dabei ist die Beziehung von politischer und geistlicher Autorität und Macht. Die Sunniten sind näher an der Politik – die besonders frommen verlangen eine Politik (und eine Justiz) nach den Gesetzen Gottes.

Da im Koran nur wenige konkrete Gesetze zu finden sind, musste die Rechtsprechung weiterentwickelt werden – entsprechend der „Handlungsweise des Propheten“, der Sunna. Diese Handlungsweise wurde von großen Rechtsgelehrten aus den überlieferten Geschichten abgeleitet – und die Autorität dieser Lehrer machte ihre Gesetze zu Gesetzen Gottes – so entstand die Scharia.

„Unter dieses Gesetz müssen sich alle beugen – oder sterben!“ Das ist die Botschaft der Isis und ihr Kampf. Schließlich wird Allah ihnen den Sieg schenken über alle Menschen – erst dann wird Frieden sein in einer Gott ergebenen Menschheit.

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Radikalisierung

Die Fatiha, die erste Sure des Koran
Die Fatiha, die erste Sure des Koran, aus einer Koranhandschrift von Hattat Aziz Efendi. Public Domain in Türkei, Quelle: wikipedia

Sollten Spezialisten oder gut informierte Muslime zugehört haben, sie hätten sicher einige Einwände und Korrekturen. Für mich war die Vorbereitung zu dem Beitrag hilfreich, eine Ahnung zu bekommen, von dem, was da geschieht.

Wie nahe es uns ist, zeigte der Film eines Palästinensers, der in Belgien und in London mit jungen Arabern gesprochen hat, auch mit führenden Personen.

Junge Männer - eigentlich Teenager - ohne gute Schulbildung, ohne Berufsausbildung und arbeitslos, sicher nicht integriert in die einheimische Jugend – finden Kontakt in der Moschee, auch Hilfe und Freizeitangebote. Dort hören Sie: „Ihr seid die Elite Allahs. Haltet euch fern von der verderbten Gesellschaft um euch. Kämpft den guten Kampf, den Dschiat des Glaubens – bald werdet ihr zu den Siegern gehören, wenn Allah sein Recht, die Scharia durchsetzt.“

Das gibt eine trotzige Selbstgewissheit, das stiftet eine Bruderschaft, das macht kampfbereit und erzeugt ein klares Feindbild - die Ungläubigen. So wie damals die Kämpfer Mohammeds, sagen sie: „Was können die uns tun? Wenn sie uns töten – wir sind im Paradies!“ Ein Führer berichtet: „Wir haben eine lange Warteliste von Bewerbern für Selbstmordanschläge.“

Mit dem Auftreten der Isis ist der Dschihad für die Kämpfer Allahs auf einer neuen Stufe - und schon die Ausrufung eines Kalifats zeigt, dass es ein Kampf der Sunniten ist. Für Schiiten gibt es da keinen Platz und keine Toleranz. Eigentlich für keinen, der sich der Scharia nicht unterwirft. Für die jungen Moslems, die sich radikalisieren ließen, öffnet sich da eine Möglichkeit, ihr Leben sinnvoll für ein Hohes, ein Heiliges einzusetzen.

Wer die Filme sieht, wie junge Männer begeistert in den ersten und in den zweiten Weltkrieg zogen – „fürs heilige Vaterland“ - der kann ahnen, wie die Isis zu ihren Kämpfern kommt. Auf die wartet nicht nur die Ehre, wenn sie den Heldentod sterben, sondern das Paradies - und der Endsieg ist sicher, denn Allah hat es versprochen.
Zur Weltgefahr wurde die Nazireligion durch die konkreten politischen und wirtschaftlichen Mächte, die sie benutzten - ähnlich ist es wohl auch bei diesem Religionskrieg.

Das Nazireich, die Sowjetunion, das China Mao Zedongs zeigen, dass auch die Abschaffung der Religion das Religiöse nicht beseitigt - und dessen Missbrauch ist mindestens genauso schlimm. Nicht die Religion ist die Gefahr, nicht einmal die säkularisierte Religion des Sozialismus, sondern der Missbrauch der religiösen Bedürfnisse und Antriebe der Menschen.
Kaum etwas ist vor Missbrauch geschützt - und am schlimmsten wird es, wenn missbraucht wird, was den Menschen heilig ist.
Der Islam ist Milliarden Menschen heilig - und meisten von ihnen lehnen den Missbrauch ihres Glaubens entschieden ab, doch sie können ihn nicht verhindern.

Im christlichen Abendland ist der Glaube Milliarden Menschen nicht mehr heilig – der gewissenlose Missbrauch ihrer Freiheit lässt sich auch kaum verhindern, und es ist anzunehmen, dass die daraus folgenden Katastrophen, die wir erlebt haben, erst ein Vorspiel sind.

Missbrauch ist überall möglich

Alle Religionen sind im Grunde friedlich - auch der Islam. Beim Gebet für den Frieden treffen sich seit Jahren einmal im Monat Buddhisten, Bahais, Juden, Christen, Muslime, Hindus in einem der religiösen Versammlungsorte - das nächste Mal am kommenden Sonntag in der die Ditip Moschee.

Nun sind einige Aussagen des Propheten leicht als Aufforderung zum Kampf und zum Töten zu verstehen - andere widersprechen dem allerdings sehr deutlich. Selbst aus der Bibel lässt sich die Aufforderung zum Krieg herauslesen, wenn man es darauf anlegt.

Die Botschaft Jesu ist aber eindeutig: „Liebt eure Feinde, tut wohl denen die euch hassen.“ „Wer zum Schwert greift, wird durchs Schwert umkommen.“

„Gott will nicht, dass du für ihn kämpfst. Du sollst erkennen wie sehr er dich liebt. Dafür, für dich, erdulde ich das furchtbare Sterben am Kreuz. So wie er dich liebt, liebt er auch deinen Nächsten, auch deinen Feind und auch seine Feinde - bedingungslos.“

Aller Missbrauch christlich verbrämter Macht in der Kirchengeschichte kann diese Botschaft nicht auslöschen - und viele Märtyrer sind für sie gestorben - ohne Kampf.

Dr. Hans Frisch

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Islam und Christentum - Wo gibt es Gemeinsamkeiten und worin liegen die Unterschiede?