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Nach den Anschlägen in Oslo

gesendet am 31. Juli 2011 von Dr. Hans Frisch
 

"Oslo" meinte Anita, als ich fragte, worüber ich bei der nächsten Sendung reden könnte.

Sie hat Recht. Zwar hatte ich schon gedacht: Ein Rückblick auf die Fußball-WM der Frauen – als Einstieg: Dritte Plätze sind für Männer - erste für Japanerinnen. Doch die Nachrichten, die Bilder, die Artikel und Kommentare aus Norwegen stehen vor uns, unausweislich und zwingend – wie eine Mauer, gegen die wir stoßen mit unserem Gefühl, mit unserem Denken, mit unserem Verstehen.

Sehr vieles ist davon und darüber geredet und geschrieben worden - am Mittwoch sowohl in der Nürnberger Zeitung als auch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, außer den Berichten im Nachrichtenteil je eine ganze Seite dazu, und wohl auch in vielen anderen Zeitungen. Was könnten wir noch dazu sagen?

Unsere Sprachlosigkeit und Ratlosigkeit zugeben, und unsere Verwunderung und Bewunderung ausdrücken für ein Volk, das in der Trauer entschlossen zusammenrückt in der Entscheidung: „Wir lassen keinen Hass in uns wecken.“ Denn das war wohl das Ziel des Täters – es sollte eine revolutionäre Verteidigung ausbrechen gegen die Bedrohung des norwegischen Volkes durch "Multikulturalismus", durch "Kulturmarxismus" und vor allem den "Eurabismus", von dem ganz Europa bedroht ist. „Christlicher Fundamentalist“ wurde er von Seiten der Polizei zunächst genannt – und in seinen umfangreichen Erklärungen spricht er von der Bedrohung des „christlichen Europa“ durch den Islam.

Es ist verständlich, dass ein "Krieger" (wie er sich selbst nennt) gegen den Islam (der von vielen mit islamistischem Fundamentalismus gleichgesetzt wird), als christlicher Fundamentalist bezeichnet wird, obwohl beides falsch ist. Weder der islamische Fundamentalismus ist der Islam noch der christliche Fundamentalismus das Christentum - und schon gar nicht gehört die Verteidigung "christlicher Werte", einer "christlichen Kultur", des "christlichen Abendlandes" zum Christsein.

Breiwik bezeichnet sich als "100-prozentigen Christen“. Er wurde mit 15 Jahren in die Evangelische Kirche Norwegens getauft, mehr ist aber von seinem Christsein nicht zu erfahren. Als "freundlichen, um andere besorgten Jugendlichen", so hatten Schulfreunde ihn erlebt. Er war Mitglied einer demokratischen Partei, die sich gegen eine Überfremdung des Landes stellte - das brachte ihr Zulauf, fast hätte sie die sozialdemokratische Regierungspartei abgelöst bei der letzten Wahl.

Viele, und ganz sicher Breiwik, sahen die Ausbreitung des Islam in Europa, und nun auch in Norwegen, als Gefahr, als Konfrontation einer christlich gewachsenen und strukturierten Gemeinschaft durch eine militante Religion. Die Terroraktionen islamischer Fundamentalisten waren der Beweis. Die Bemühungen der sozialdemokratischen Regierung um Toleranz, um Multikulturalismus (der wesentlich umfassender ist als „Multikulti“) und um sozialen Ausgleich erscheinen ihnen als Kapitulation vor dem Angriff.

Es erscheint wahnsinnig, dass ein Einzelner meint, mit einer solchen Aktion den Angriff stoppen zu können - doch er wusste sich nicht als Einzelner, er kannte die Bedrohungsgefühle, die in der Fortschrittspartei thematisiert wurden (er war zeitweise sogar in führender Position) und er war Teil einer großen Internetgemeinschaft, hier fühlt sich fast in führender Stelle.

Welche Kraft so eine Gemeinschaft entwickeln kann, haben wir miterlebt bei der "Arabellion" in Ägypten, in Tunesien, in Libyen - ein Ende ist kaum abzusehen. Und er kannte sicher auch die Internetvernetzung der Islamisten, die auf diesem Weg Terrorkandidaten gewinnen. Selbst bestens ausgerüstete staatliche Dienste erscheinen auf diesem Kampffeld machtlos. Breiwik fantasierte sich eine Chance und setzte alles auf eine Karte, in der Zuversicht, seine Aktion würde die schweigende Mehrheit zur Aktion, zum Kampf erwecken, wie ein Zünder die Granate.

Musik

Ein Lied klingt seit Jahren durch Norwegen, wie eine Hymne: „Mein kleines Land. Ein kleiner Fleck, eine Hand voll Frieden, hingeworfen zwischen Felsplateau und Fjorde.“ Der Satz einer früheren Ministerpräsidentin wurde zum geflügelten Wort: "Es ist typisch norwegisch, gut zu sein." Die Bilder aus dem Land zeigen, dieses Lied und dieser Satz bleiben gültig. Doch, zufrieden mit seiner grausigen Tat meint der Täter: "Noch nicht, aber in 60 Jahren wird man erkennen, welchen Dienst ich meinem Land geleistet habe." Er glaubt nicht, dass die Ängste, die Wasser auf die Mühlen der Fortschrittspartei und auf die der islamfeindlichen Kräfte sind, dass die versiegen. Und wahrscheinlich meint er, wenn diese Ängste durch Verbote, durch „politikell korrektness“, durch ideologische Propaganda zurückgedrängt und gestaut werden, dann wird irgendwann der Dammbruch kommen und die gewaltige Flut. Seine Tat hätte den ersten Riss in der Staumauer gesetzt – so könnte man das deuten. Das ist nicht so wirr, wie es klingt.

Wenn wir uns die Flut der Freiwilligen ansehen, die in den Ersten Weltkrieg zogen, darunter Dichter und Denker, Wissenschaftler und Künstler; wenn wir den begeisterten Aufschrei der Massen im Sportpalast hören als Antwort Göbels Frage: “Wollt ihr den totalen Krieg?“; wenn wir die Demonstrationen auf dem Roten Platz in Moskau zur Zeit des kalten Krieges sehen, vorbei an Stalin, seinen Generälen und seinen Funktionären - immer waren es Massenbewegungen, die klein angefangen haben, Hoffnungen weckten und durch Aufbau eines Feindbildes mächtig wurden. Mit dem Wachsen dieses Feindbildes wächst ein entsprechendes auch beim Gegenüber - so wird aus dem Gegner der Feind; ein Prozess, der sich aufschaukelt bis zum Krieg.

Gott sei Dank, die europäische Einigung hat aus Erbfeinden Freunde gemacht. Auch wenn da Spannungen bleiben oder neue auftauchen, die nicht leicht zu auszuhalten sind und Opfer fordern. Die Integration eines islamischen Staates in diese Gemeinschaft dürfte nicht möglich sein - doch wird kaum jemand, der einen Moslem wirklich kennenlernt oder ihm zum Freund wird, diesen als Feind erleben. Ohne Bedenken würde er eine Einladung zum Fastenbrechen im Ramadan annehmen und sich wohl fühlen. Hassprediger auf beiden Seiten würden so ihren Einfluss verlieren - darum versuchen sie die Begegnung, die Integration zu verhindern.

Der Start in die katastrophale Entwicklung ist meist die Einimpfung und die Pflege des Feindbildes in Einzelnen, in immer mehr Einzelnen bis daraus eine Masse wird, die ihre Führer findet und ihnen Macht überlässt. Diese Macht gründet auf dem Feindbild, sie verspricht Hoffnung und sie muss Dialog, Verständigung und Freundschaft verhindern.

Der Gedanke, dass der Einzelne nicht in die Moschee, nicht in eine Versammlung, nicht zu einer Demonstration gehen muss, sondern dass er dem Hassprediger, dem Propagandisten, den Verführer jederzeit begegnen kann in seiner Stube, im Netz, dass er sich in ein Gespräch - in ein scheinbar freundschaftliches Gespräch - einlassen kann in seiner Einsamkeit und Ratlosigkeit, dieser Gedanke ist unheimlich.

Musik

Sie hören eine Sendung von AREF, der "Arbeitsgemeinschaft Rundfunk evangelischer Freikirchen". Freikirchen heißen die, weil sie frei sind von staatlichem oder politischem Einfluss. Trennung von Staat und Kirche war das wichtigste Anliegen der Gründerväter. Frei sind wir auch von kirchlichen Machtstrukturen oder Machthabern. Bei der Entwicklung des christlichen Abendlandes haben die Freikirchen kaum Einfluss gehabt – sie waren lange Zeit eher Opfer der Staatskirchen.

Das ist vorbei - unsere Baptistengemeinde lebt in guten Beziehungen zu den evangelischen und katholischen Nachbarkirchen. Mitglied in unseren Gemeinden kann nur werden, wer sich zum Christsein entschlossen hat und es bekennt, in der Regel durch die Taufe. Was das mit unserem Thema zu tun hat?

Die Saat der Hassprediger aller Richtungen geht auf in den Einzelnen, aus denen sich Massen bilden. Ein Mensch, der im Zentrum seiner Person die Botschaft angenommen hat: „Aus Liebe zu dir ist Jesus in die Welt gekommen und aus Liebe zu dir ist er am Kreuz gestorben, damit nichts dich von Gott trennt. Auch aus Liebe zu dem, der dir feindlich begegnet“ ein solcher Mensch müsste immun sein gegenüber Verführung zum Hass, unabhängig von seinen politischen oder sonstigen Meinungen.

Eine "christliche Kultur", eine "christliche Politik" oder eine "christliche Gesellschaft" kann daraus nicht entstehen - es ist aber zu hoffen, dass Christen, die Politiker sind, eine vernünftige Politik machen, frei von egoistischen Interessen, dass sie mutig und wahrhaftig sind, wenn sie Kultur schaffen und sich aktiv und hilfreich in der Gesellschaft einbringen. Wenn das so wäre, dann könnte ein Land, dann könnte eine Gesellschaft gar nicht genug Christen haben - selbst wenn die "auch nur Menschen sind", mit Schwächen und Fehlern – Christen in Staatskirchen und Freikirchen, in freien Gemeinden und ohne Gemeindeanschluss.

Ein Glück, dass es so viele Menschen gibt, die auch ohne Christ zu sein vernünftige Politik machen, gute wahrhaftige Kultur schaffen und aktiv und hilfreich in der Gesellschaft sind - mit oder ohne religiöse Bindung.

Meine Einladung gilt allen: Sucht das Gespräch mit dem Gegenüber, auch wenn er als Gegner erscheint. Versucht die Wurzeln eurer und seiner Überzeugung zu verstehen, ermutigt euch und ihn zum Schritt aufeinander zu.

Wer verstehen will, warum ich bei einem christlichen Sender mitmache, der kann die Bibel lesen - zunächst das Neue Testament. Er kann im Internet weitere Beiträge suchen unter aref.de, er kann mir auch eine Mail schicken über die AREF-Adresse oder hans.frisch@gmx.net.

Nur durch Gespräche erwächst Verstehen und Vertrauen - hoffen wir, dass dies in Norwegen lebendig bleibt und gelingt.