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Auf dem Weg nach Jerusalem

gesendet am 14. März 2010 von Dr. Hans Frisch
 

Wo liegt Taibe?

Fast würde ich eine Wette wagen, dass keiner der Zuhörer weiß, wo Taibe liegt - für Franken noch einmal "Taibe mit weichem b".

Es ist ein kleiner, vorwiegend katholischer Ort, mit einer Kirche, einem Hofbräuhaus, ein Oktoberfest bei dem das berühmte Taibe-Bier ausgeschenkt wird, gebraut nach bayerischem Reinheitsgebot. Wer es finden will, der kann bei Google Earth Jericho ansteuern, da sie der Tabe nordwestlich, oben auf den Höhen über dem Jordangraben. Es ist das einzige christliche Palästinenserdorf.

Nun ist es bis zum Oktoberfest ja noch etwas hin, was soll da ein Besuch in Taibe mitten in der Passionszeit? Um diese Zeit im Jahr der Kreuzigung war Jesus hier, der Ort hieß damals Ephraim - und es bietet sich an, hier in die Passionsgeschichte einzusteigen. Was sucht Jesus in Ephraim - Taibe? Er sucht nichts, er wurde gesucht!

Zum Laubhüttenfest im vergangenen Herbst war er nach Jerusalem gekommen, er hatte dort die frommen und die Mächtigen so geärgert mit seinen anmaßenden Selbstaussagen, dass sie ihn steinigen wollten. Doch er entkam und hielt sich jenseits des Jordans auf, in Peräa. Das Gebiet gehört heute zu Jordanien, damals gehörte es zum Hoheitsgebiet des Königs Herodes Antipas, des Landesherren in Jesu Heimat Galiläa. Dort konnte ihn die Tempelpolizei aus Jerusalem nicht festnehmen.

Jesus erreicht die Nachricht, dass sein Freund krank ist

Doch hier erreicht ihn die Nachricht: "Lazarus, dein Freund ist krank" - und das war die Aufforderung: "Komm und hilf ihm!" Jesus ließ sich Zeit, und als er schließlich in Bethanien auf dem Ölberg ankam, da war Lazarus gestorben. Jesus ruft ihn aus dem Grab, ein sensationelles Wunder. Die Kunde davon breitete sich schnell aus, auch die Priesterschaft erfährt es, und ist alarmiert. "Auf dem Ölberg wurde ein Toter auferweckt, von Jesus, den viele, vor allem Galiläer, für den Messias halten." Das war gefährlich! Denn "Messias", das wäre Signal zum Aufstand gegen die Römer - und viele Galiläer konnten es kaum erwarten.

Nun war die Vorstellung so: Wenn der Messias kommt, dann kommt er über den Ölberg und zieht durch die goldene Pforte in der Tempelmauer in den Passahgottesdienst ein. Dann werden die Toten auferstehen. (Deshalb ist dort am Ölberg der riesige jüdische Friedhof - wer es sich leisten kann, kauft dort eine Grabstelle und wird dann unter den ersten sein, bei der Auferstehung.

Die jüdische Obrigkeit gerät unter Druck

Und jetzt hat Jesus dort einen Toten auferweckt - das war ein Beweis, er ist es! Auf einer Krisensitzung der Priesterschaft fällt das der Todesbeschluss: Lassen wir ihn so, dann werden sie alle an ihn glauben, und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute. ist die Begründung des Hohen Priesters. Ein Aufstand gegen Rom hätte keine Aussicht auf Erfolg, und sie waren verantwortlich für den Frieden an der religiösen Front.

Ein Fahndungsaufruf wird veröffentlicht, und der ist im jüdischen Talmud noch erhalten: "Am Vorabend des Passafestes hängte man Jeschu. Vierzig Tage vorher hatte der Herold ausgerufen: Er wird zur Steinigung hinausgeführt, weil er Zauberei getrieben und Israel verführt und abtrünnig gemacht hat; wer etwas zu seiner Verteidigung zu sagen hat, der komme und sage es. Da aber nichts zu seiner Verteidigung vorgebracht wurde, so hängte man ihn am Vorabend des Passafestes!"
Jesus entweicht mit seinen Jüngern nach Ephraim, und hier wollen wir uns zu ihnen gesellen, drei Wochen vor dem Passahfest. Heute können wir dort ein gutes Bier trinken, das gab es damals noch nicht

Musik

Juden machen sich auf zum Passafest auf nach Jerusalem

40 Tage vor dem Passahfest wurde der Fahndungsaufruf verbreitet, jetzt sind es noch 20 Tage bis Ostern, also noch etwas Zeit bis zum Aufbruch - denn zum Fest will Jesus in Jerusalem sein. Wir können uns also etwas umschauen.

Es ist ein weiter Blick von Ephraim über den Jordangraben. Unten der Fluss, wo er von Johannes getauft wurde, ringsum die Wüstenberge, wo er die Versuchung erlebte - jetzt sind sie bedeckt mit einem Teppich aus Frühlingsblumen. Jericho liegt in der Tiefe, die älteste Stadt der Menschheit am tiefsten Punkt der Erdoberfläche, 360 m unter dem Meeresspiegel. Im Süden ist Jerusalem auf der Höhe sichtbar, dort wartet der Tod am Kreuz auf ihn. Zum drittenmal wird er es seinen Jüngern sagen, bevor sie aufbrechen.

Auf der Straße im Jordangraben kommen mehr und mehr Pilger, die nach Jericho hineinziehen, um von hier den Tagesmarsch anzutreten hinauf nach Jerusalem. Wahrscheinlich am übernächsten Donnerstag wäre der Termin für Jesus zum Aufbruch. Da geht er mit den Jüngern hinunter ins Tal und reiht sich ein in den Pilgerzug. Die Juden aus Galiläa benutzen diesen Weg, und viele von denen kannten Jesus. Da gab es wahrscheinlich ein Hallo. Ein blinder Bettler hörte es, und als er erfuhr, warum, da rief er
Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!" und ließ sich nicht beruhigen.
Jesus heilt ihn - scheinbar eine Heilung wie viele vorher, doch etwas Besonderes.
Am Anfang seines Weges zum Todespassah, da wird Jesus als "Sohn Davids" gerufen, und das hieß: "Jesus du Messias", denn ein "Sohn Davids" sollte das Reich Gottes bringen, auf dem Stuhl Davids sollte er sitzen als Herrscher - ewig.
Es dürfte ein starker Zuspruch gewesen sein für Jesus - dort unten, wo er bei der Taufe den Zuspruch Gottes gehört hatte: "Du bist mein lieber Sohn" und drüben in den Bergen die Stimme des Versuchers: "wenn du Gottes Sohn bist."
Die Kunde seiner Anwesenheit ist ihm vorangeeilt, und in der Stadt wird er erwartet. Die Straßen sind gesäumt von Zuschauern. Wie Fahnen zum Kampf schwingen die Pilger ihre Palmzweige, die sie am Wege gekauft haben für das Fest im Tempel. Mit ihrem Messias werden sie in Jerusalem einziehen, zum Passahfest, dem Fest der Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten - und es wird ein Fest der Befreiung von den Römern werden.
Doch Jesus geht nicht darauf ein.
Am Straßenrand sieht er einen kleinen Mann, der auf einen Maulbeerbaum geklettert ist und ihm begeistert zuwinkt. Es ist Zachäus, bekannt und verhasst, denn er hatte sich schamlos bereichert in seinem Amt als Steuer- und Zolleinnehmer für die Römer. Jesus kannte ihn auch, denn schon öfter hatte er die Zollstelle von Jericho passiert - jetzt erscheint der ihm wie ein Geschenk Gottes. "Danke Vater" wird er gedacht haben, und rief dem Zachäus zu: "Komm schnell runter und nimm uns als Gäste auf." Vielleicht wusste er, dass er einen Stein im Brett hat bei der Zachäus, war er doch fast der Einzige, der immer freundlich mit ihm gesprochen hatte.
Für den verachteten Zöllner war es ein Geschenk und eine Auszeichnung, Jesus, der Bewunderte und Berühmte will sein Gast sein, vor seinen Neidern und Hassern sagt er es laut. Und er nahm ihn auf mit Freuden in sein großes Haus.
Für Jesus war es wirklich ein Geschenk. Die Herbergen in Jericho waren überfüllt, wo hätte er ein Nachtquartier finden können mit seinen 12 Jüngern - und am nächsten Tag wartete der Aufstieg nach Jerusalem, 30 km mit über 1000 m Steigung.
So sehr ist Zachäus berührt von dem Vertrauen und der Zuwendung, die nicht nach seiner Schuld fragt, dass er bekennt: "Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück."
Es ist dramatisch: Jesus ist auf dem Weg zum Kreuz, als Sündopfer für alle die es annehmen, damit sie der Gnade Gottes und der Vergebung sicher werden und umkehren können - hier erlebt er eine solche Umkehr, eine Bekehrung geschieht. Wie sehr es ihn bewegt, lassen seine Worte ahnen:
"Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist Abrahams Sohn. Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist."

Der kampfbereiten Pilgerschar, die am nächsten Morgen auf ihn wartet, sagt er ein hartes Gleichnis von anvertrauten Talenten, wie ein Schutzschild gegen ihre Erwartungen, die er nicht erfüllen wird.
Sie haben es nicht verstanden.
So geht der Pilgerzug weiter, die letzte Etappe nach Jerusalem.

Musik

Der Weg von Jericho nach Jerusalem

Wenn ihr nach Israel kommt, versäumt nicht den Weg von Jericho nach Jerusalem durch die "Aduminsteige", den "Blutweg". Hier handelt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, der sich um das Opfer eines Raubüberfalles kümmert. Für solche blutigen Überfälle war der Weg berüchtigt. Viele Reiche aus Jerusalem hatten unten im warmen Jericho ein Winterquartier, das waren lohnende Opfer. Mitten in einer Pilgergruppe drohte keine Gefahr, aber es war ein recht anstrengender Weg. Auch ohne 1.000 m Steigung ist ein Marsch von 30 km kein Spaziergang. Ihr könnt dort mit dem Auto fahren, doch startet erst gegen Abend in Jericho, damit ihr, wie die Pilger, im Schein der Abendsonne auf dem Ölberg ankommt - dann liegt Jerusalem vor euch im Abendlicht, die goldene Kuppel des Felsendomes glänzt jenseits des Kidrontals. Damals stand noch der von Herodes dem Großen neu erbaute Tempel - weißer Marmor mit goldenen Zinnen, ein Weltwunder.

Es war wie eine Belohnung für die Mühen und wie eine Verheißung für das Fest. Um ein Nachtquartier brauchten sie sich nicht zu sorgen - hier oben in Bethanien wohnten Freunde, und sie werden gerade zum Anbruch des Sabbatabends zurechtgekommen sein. Sicher war der Ort auf die abendliche Ankunft von Pilgerscharen vorbereitet, so dass viele von ihnen dort unterkamen und den Ruhetag des Sabbat hier verbrachten.
Nach dem Ruf: "Jesus du Sohn Davids", nach dem komfortablen Nachtquartier und der Bekehrung des Zöllners in Jericho geschieht hier für Jesus etwas Starkes: Eine Frau kommt und gießt ein kostbares duftendes Öl über sein Haupt, so wie einer zum König gesalbt wurde, zum "Meschiach". " "Sie hat mich zu meinem Tod gesalbt" antwortete er den Jüngern, die kein Verständnis für so eine Verschwendung haben, denn das Öl war ein kleines Vermögen wert.
Das war wahrscheinlich zum Abschluss des Sabbat, am nächsten Tag. So erzählt es das Johannes Evangelium.

Woran erinnert Palmsonntag?

In den anderen Evangelien folgt dem Aufstieg von Jericho gleich der Einzug nach Jerusalem, gewissermaßen der Gong zur Endrunde. Palmsonntag ist die Erinnerung daran, denn ihre Palmenzweige, die sie unten in der Palmenstadt Jericho gekauft hatten für das Fest im Tempel, die warfen die Pilger jetzt vor Jesus auf den Weg unter dem Jubel:

"Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!"

Sie meinten, Jesus werde jetzt als Erlöser auftreten und sie in einen wunderbaren siegreichen Befreiungskampf führen, denn mit seinem Ritt auf einen Esel, da zitierte er ein Prophetenwort: "Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen."

Jesus weint über sie und über Jerusalem, denn er weiß, wohin sein Weg führt und er weiß, was auf Jerusalem zukommen wird, wenn schließlich der Kampf gegen Rom losbricht. Der Aufstand droht schon jetzt, das sieht die Priesterschaft ganz klar, und sie handelt, wie sie handeln muss. Es dauert nur noch vier Tage, und Jesus steht vor dem Hohen Rat, wo das Todesurteil fällt. Das ist Thema am Karfreitag, da sind wir wieder auf Sendung.

Jetzt wird vielleicht mancher fragen, was diese Geschichte soll, wozu ich sie erzähle. Zunächst: diese Geschichte hat Geschichte gemacht - ohne sie wäre die Weltgeschichte anders verlaufen. Es gäbe kein christliches Abendland, wohl auch keinen Islam. Für mich ist sie gewissermaßen das Finale der Heilsgeschichte, die mit Abraham anfing und mit Jesus am Kreuz ans Ziel kam.

Überraschend ist, wie exakt die Erzählungen in die Landschaft, in unser Bild der damaligen Gesellschaft und in die religiösen Strukturen und Erwartungen passen - vielleicht werden sie durch das Nacherzählen für uns lebendig.

Dr. Hans Frisch