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Totensonntag / Ewigkeitssonntag 2008 gesendet am 23.11.2008 von Dr. Hans Frisch
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Totensonntag - letzter Sonntag im Kirchenjahr - Ewigkeitssonntag, das klingt schon ernst! Es ist wie im Leben - das Denken an den Tod, ans Ende, an die Ewigkeit wird so weit wie möglich rausgeschoben - obwohl es ja das einzig absolut Gewisse im Leben ist. Nur das "nicht geboren sein" könnte uns davor bewahren.

Interessant es schon: Die ältesten Kulturzeugnisse sind Gräber mit Grabbeigaben - Zeichen, dass die Grenze des Todes "über-dacht", "über-glaubt", "über-hofft" wurde, seit Anbeginn der Menschheit - denn die Grabbeigaben waren nicht wie Blumen auf das Grab, sondern für das Leben nach dem Tod. Und wer dem Mann, der Frau oder dem Kind Schmuck, Waffen, Speisen mitgibt ins Grab, der gibt sich selbst Hoffnung und Zuversicht für ein Leben danach, wenn er im Grab liegen wird.

Welche Bedeutung der Tod und das Totenreich hatten, wird ersichtlich an der Größe und Gestaltung der Gräber, seit der Steinzeit bis zu den ägyptischen Pyramiden. In der Bibel findet sich nicht viel davon - doch auch da tritt das Thema des Todes gleich am Anfang auf. "Von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tage, da du von ihm isst, musst du des Todes sterben."
So lautet das allererste Gebot, welches der Mensch von Gott bekommt - und das er natürlich übertritt.
"Erst durch den Sündenfall ist der Tod in die Welt gekommen", so wird von kindlich-gläubigen Menschen die Geschichte gedeutet.
Schwer ist das zu denken, eine Welt ohne Sterben - und die Drohung Gottes tritt ja auch nicht ein - "An dem Tage, da du von ihm isst, musst du des Todes sterben."
Adam und Eva sind nicht gestorben an dem Tag an dem sie davon gegessen haben - da hatte die Schlange schon recht.
930 Jahre sei Adam geworden, ehe er starb. Er hat den Tag des so genannten "Sündenfalles" um mindestens 800 Jahre überlebt, das sind 292 000Tage.
War das also eine leere Drohung "an dem Tage, da du von ihm isst, musst du des Todes sterben."? Martin Buber übersetzt noch stärker: "Musst du sterben, sterben!"
Wer will, kann daraus lesen: "Wenn du nicht davon isst, wirst du nicht (wirst du nie!) sterben." Und dann schlussfolgern: "Den Tod gab es vorher nicht, weder für Menschen noch für Tiere". Er kann auch sagen: "Die Schlange, das war der Teufel. Durch seinen Sündenfall hat der Mensch dem Satan Macht in der Schöpfung eingeräumt, und damit Krankheit, Krieg, Mord und alles Unheil in die Welt gebracht."
Doch das steht nicht in der Geschichte - weder "Teufel" noch "Sünde".
Die Todesstrafe wird angedroht, aber nicht vollstreckt.
Es ist eine Geschichte des Anfangs, und weil Weichenstellungen am Anfang gewaltige Auswirkungen auf den weiteren Kurs haben, sollten solche Geschichten sehr genau betrachtet werden. Wir wollen es nach der Musik versuchen.

Musik

Die Todesstrafe war angedroht, aber nicht vollstreckt. Die Schlange hatte Recht: "Ihr werdet nicht sterben."
Weil Weichenstellungen am Anfang den weiteren Kurs entscheidend bestimmen, ist eine gewissenhafte Prüfung unserer Deutung notwendig.
Die frühe, die katholische Kirche hat über die Geschichte die Überschrift "Sündenfall" gesetzt, hat daraus die "Erbsünde" abgeleitet und die Notwendigkeit, das neugeborene Kind von dieser Erbsünde zu reinigen durch das Sakrament der Taufe, weil es sonst in der Hölle landet, wenn es stirbt - und die Kindersterblichkeit war sehr hoch damals. Für die Eltern war die Taufe sicher ein großer Trost.
Das Sakrament wurde von der Kirche verwaltet - so geriet jeder Mensch in den Machtbereich der Kirche. Und wie jede Macht verführte auch diese zum Missbrauch.
Im Schöpfungsbericht kommt weder das Wort "Sünde" noch "Sündenfall" vor, nur in der später eingefügten Überschrift.
Erst in der Geschichte von Kain und Abel warnt Gott den Kain vor der Sünde - "sie lauert vor der Tür und nach dir hat sie Verlangen. Du aber herrsche über sie."

Was ist aber von einer Geschichte zu halten, in der die sofortige Todesstrafe angedroht ist, und dann ohne Kommentar ausbleibt.
Wir wollen genauer hinschauen, mit den Augen des 21. Jahrhunderts - ob die Geschichte immer noch "stimmt" (wenn sie Wort Gottes ist müsste sie noch stimmen).
Mit der Aneignung der Erkenntnis hat der Mensch unwiderruflich eine Grenze überschritten. In unserer Sprache: Aus einem instinktgesteuerten Wesen wurde ein bewusst handelnder Mensch - den paradiesischen Zustand eines Lebens entsprechend den Instinkten hat er verlassen, er lebt jenseits von Eden - und die erste Tat, die berichtet wird ist - entgegen der stärksten Instinkthemmung - der Brudermord (auch diese Tat wird nicht mit dem Tod bestraft!)

Die erste Erkenntnis, die dem Menschen geschah, war die vergehende Zeit.
Stell dir vor, diese Sekunden, die eben waren sind vorbei - für immer, und diese jetzt auch, und am Ende ist der Tod.
Ich behaupte, keine Erkenntnis hat in der Menschheit eine solche Wirkung entfaltet wie diese.
Kein Löwe liegt in der Sonne und spürt Angst vor dem Tod - der Mensch kann vor Angst nicht einschlafen, wenn ihn die Angst vor dem Sterben überfällt.

Wenn wir in dem Kult der Totenbestattung den Ursprung der Kultur sehen können, dann ist die Verdrängung des Todes und die Gier, vom Leben etwas zu haben, eine Grundkraft der Zivilisation.

Mit der menschlichen Erkenntnis ist tatsächlich "das Sterben" ins Leben getreten - wirklich vom ersten Tag an.
Die Konsequenzen sind gewaltig. Es fängt an mit dem Brudermord, es geht weiter mit Mord und Totschlag, Machtkampf und Vernichtungskriegen, mit Bereicherung und Sklaverei, mit Revolution und Unterdrückung, und das in zunehmender Globalisierung.
Doch mitten in diesem Chaos baut der Mensch Ordnungen, schafft Freiräume zum Leben, sprengt Fesseln, stiftet Vertrauen, grenzt Gewalt ein. Gegen die brutale Wirklichkeit des Frühkapitalismus setzt er die Hoffnung auf die Befreiung des Menschen im Kommunismus.
Leider führte auch der Versuch, gewissermaßen "das Reich Gottes" im Kommunismus zu verwirklichen, in eine böse Entartung - weil die Menschen eben Menschen bleiben, getrieben von Machtinstinkt und Lebensgier, gefangen im Netz der Zeitlichkeit, gepackt von Angst der Vergänglichkeit.

Ein Glück, dass die Bibel nicht mit der Beschreibung vom Verlust des Paradieses und auch nicht mit der unruhigen Geschichte der Menschheit jenseits von Eden abschließt.

Auch am Anfang des neuen Testaments steht der Tod, doch als der Weg ins Leben.
Da müssen wir auch hinschauen am Totensonntag.

Musik

"Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen" sagt Martin Luther in einem Lied.
"Das Leben wird mehr vom Tod geprägt als wir wahr haben wollen" - behaupte ich.
"Durch seinen Tod hat Jesus den Tod überwunden" verkündet das Neue Testament. Das ist entweder Unsinn oder gewaltig.

Zehntausende sind am Kreuz gestorben in jener Zeit, allein nach dem Spartakus-Aufstand säumten 6000 Kreuze die Via Appia nach Rom. Nur ein Gekreuzigter ist weltbekannt - Jesus. Die meisten Kreuzigungen erfolgten in besiegten Gruppen, nur von einer Kreuzigung ist der Prozess ausführlich beschrieben - bei Jesus. Kaum von einer Kreuzigung sind Folgen bekannt - die historischen Folgen von der Kreuzigung Jesu sind gewaltig. Doch, "den Tod überwunden", das folgt daraus nicht.

Versuchen wir, uns der Botschaft zu nähern:
Nur der Mensch erlebt den Tod mitten im Leben, und das Wissen darum hat eine mächtige Wirkung. Ohne dieses Wissen wäre die Frage nach dem Danach, nach dem Jenseits, nach Gott wohl kaum so dringend geworden. Unbedingt mussten darauf Antworten gefunden oder gegeben werden. In zunehmende Klarheit wurden die Antworten persönlicher, entstand eine Beziehung zwischen dem einzelnen Menschen und dem einen Gott.

In Jesus wurde diese Beziehung so eng, dass er sagen konnte: "Ich und der Vater sind eins." Er wusste sich gesandt zu Offenbarung von Gottes Liebe für jeden Menschen, besonders zu denen, die diese Liebe am Nötigsten hatten und haben, den Unterdrückten und Gefangenen, vor allen zu denen, die unter dem Druck von Schuld und in der Gefangenschaft der Sünde sind, und kaum eine Chance haben, sich daraus zu befreien. Manche Zeitungsnachricht lässt uns etwas ahnen von den tödlichen Abgründen, die sich da auftun können. "Für dich" sagt schweigend der da bis aufs Blut gegeißelt wird, "für dich" bricht er unter dem schweren Kreuz zusammen, "für dich" stöhnt er unter den Qualen am Kreuz - "weil Gott dich liebt". "Für dich" tönt sein Ruf: "Es ist vollbracht" mit dem er stirbt.

Wer das als frommes Gerede hört, der darf sich einreihen unter die, die ihn damals verspottet haben, auch ihm gilt sein Gebet: "Vater vergib ihm, er weiß nicht was er tut." Doch Millionen und Abermillionen Menschen haben in der Begegnung mit dem Gekreuzigten das Kostbarste in ihrem Leben erfahren: Trost, Befreiung, Erlösung. Wirklich beschreiben kann man das so wenig, wie das Aufbrechen der Liebe - und die Liebe ist stärker als der Tod.

Wenn Du das nicht verstehen kannst oder begreifen kannst - niemand konnte es damals begreifen, auch die Jünger nicht. Der, auf den sie gehofft hatten als Befreier, als Messias, der war gestorben, furchtbar und erbärmlich. Doch es geschahen Dinge, die unbegreiflich waren, aber so überzeugend, dass sie erkannten: "Er lebt, denn er ist der Erlöser. Gerade durch seinen Tod." Ohne das, was als Auferstehung beschrieben ist, hätten sie es nicht erkannt, und sie hätten es nicht offen bekannt, bis ins Martyrium.

 

Für sie hatte er Tod seinen Schrecken und seine Macht im Leben verloren, denn die Liebe, die sich ihnen offenbart hatte, die wird durch den Tod nicht bedroht oder ausgelöscht. Wer meint, er hat eine solche Erfahrung nicht nötig, der darf es vergessen - er weiß nicht, was er verpasst.

Ein wunderbares Bild für die Befreiung der gefangenen Seele hat der Psalmist gefunden:

"Unsre Seele ist entronnen wie ein Vogel
dem Stricke des Voglers;
das Netz ist zerrissen und wir sind frei."
Psalm 124, 7

Eine Künstlerin hat diesen Vogel gemalt - das Bild steht neben andern Bildern zu den Psalmen in der Baptistengemeinde am Südring.

Ich bezeuge es, so schön ist die Erfahrung der Erlösung wirklich.

Dr. Hans Frisch

 
     
Psalm 124, 7
von Barbara Vollmer