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Paulus in der Kritik

gesendet am 8. Juni 2008 von Dr. Hans Frisch
 

Immer wieder - wenn man mit Atheisten spricht, oder mit Theologen oder mit Juden - Paulus wird genannt, meist sehr kritisch.Die einen sehen ihn als Verderber der alten, schützenswerten Religionen durch „sein“ Christentum - die anderen kritisieren, dass er aus dem schönen jesuanischen Evangelium den engen Christusglauben gemacht hat - die Juden halten ihn für den Verräter seines jüdischen Glaubens - und alle haben von ihrem Standpunkt aus Recht.

Am wenigsten wohl die romantischen Verklärer der alten Religionen - diese Religionen waren zur Zeit des Paulus wohl schon etwas überholt (sonst hätte er nicht so einen Missionserfolg gehabt). Auch gab es unzählig viele solche Religionen im römischen Reich - und keine von ihnen hatte das einigende Zukunftspotenzial des Christentums.

Überraschend sind immer wieder die kritischen Äußerungen von theologischer Seite. Mit viel Fleiß und großem Scharfsinn sind da die Worte und Geschichten der Evangelien „heraus destilliert“ worden, die wirklich von Jesus stammen könnten - und daraus wird die wirkliche, die „jesuanische“ Botschaft rekonstruiert. Was nicht dazu passt, das wird als Zutat der frühen Christengemeinden angesehen, die damit Jesus zu dem Erlöser, zu dem verheißenen Messias umdeuteten.

Doch Paulus fragt überhaupt nicht nach den jesuanischen Elementen, er predigt nur „Christus den Gekreuzigten“ als den Erlöser - was übersetzt heißt: „den gekreuzigten Messias“. Und da melden sich die Juden zu Wort: „Nichts bestätigt, dass Jesus der Messias war, denn das Reich Gottes ist nicht angebrochen mit ihm - leider!“ Es mehren sich die jüdischen Stimmen, die Jesus als frommen Juden rühmen. Doch: „Der Glaube dieses Jesus verbindet uns mit den Christen - ihr Glaube an diesen Jesus trennt uns.“

Einig sind sich alle Kritiker, das dieser Paulus für die Weichenstellung der Geschichte zum christlichen Abendland von entscheidender Bedeutung war - bis auf einen Theologen in Berlin, der behauptet, Paulus sei eine literarische Erfindung. Da Geschichte nicht umzukehren ist, gibt es keine Möglichkeit zu klären, wie es ohne Paulus gegangen wäre, wenn das Christentum eine jüdische Sekte geblieben wäre mit Zentrum in Jerusalem - das 40 Jahre später in Trümmern lag.

Erst durch Paulus sei aus dieser geduldeten jüdischen Sekte die Christusgemeinde geworden und damit die Abspaltung vom Judentum. Doch der erste Kontakt des Paulus zu den Christen ist der des Verfolgers zu den Opfern - und bei der Steinigung des Stephanus war er auf Seiten des Exekutionskommandos dabei. Und da wollen wir versuchen ihm zu begegnen.

* * * Musik * * *

„Als Stephanus gesteinigt wurde, da war Paulus dabei und fand es richtig“ schreibt die Apostelgeschichte.

Als Student war er nach Jerusalem gekommen, der berühmte Gamaliel wurde sein Lehrer - und er nahm es ernst, das Studium und seinen Glauben. Von Jesus hat er sicher gehört, dem vor Kurzem gekreuzigten Ketzer – und, dass Menschen dem immer noch anhängen, das konnte er nicht verstehen. Selbstverständlich mussten die verfolgt werden - vermahnt und notfalls getötet, denn sie predigten Abfall vom jüdischen Glauben.

So wurde er ein Agent des Synhedriums, des Obersten jüdischen Gerichtes (die Rechtsprechung war ähnlich der Sharia im Islam), und er spürte Christen auf, verhaftete sie und brachte sie vor Gericht.

Er bewirbt sich um einen Auslandsauftrag und bekommt ihn - in Damaskus will er nach Christen fahnden.

Da hat er sein „Damaskuserlebnis“, er wird vom „Saulus zum Paulus“.

Am Ende des langen Weges, er ist schon über die Golanhöhen hinüber und in der Nähe von Damaskus, da hat er eine Lichterscheinung, es haut ihn um und er hört eine Stimme: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ „Wer bist du?“ fragt er - und bekommt die Antwort: „Ich bin Jesus, den du verfolgst.“

Drei Tage konnte er nicht sehen, er wird von seinen Begleitern in die Stadt geführt. Dort begegnen ihm Christen - zuerst voll Angst, doch ihnen wurde klar, dass dieser bekehrt und berufen war. Sie beten über ihm und „es fiel wie Schuppen von seinen Augen“.

Statt Christen zu jagen, geht Saul in die Synagoge und predigt, dass Jesus der Messias, der Sohn Gottes ist.

Nun muss er fliehen, denn die Juden wollen ihn töten. So beginnt sein Weg.

Kein Wunder, dass es märchenhaft erscheint: Licht das blind macht und eine Stimme die einen Christenverfolger zum Christen macht.

Doch was ist geschehen?

Wenn wir uns den Paulus vorstellen, wie wir ihn kennen aus der Apostelgeschichte und aus seinen Briefen, dann begegnen wir einem ernsthaft gläubigen jungen Juden, der miterlebt hatte wie Stephanus eine überzeugende Predigt hält vor seinen Richtern, und unter der Steinigung sterbend betet: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an.“

Er verhört Christen und erlebt ihren Bekennermut und ihr Vertrauen auf Gott - ohne Hass auf die Verfolger. Als einzigen Grund dafür erkennt er: „Die glauben an Jesus den Gekreuzigten und Auferstanden.“ - und es sind keine heldenhaften Menschen.

Wieder und wieder erlebte er es - das musste ihn überzeugen. Ich behaupte, er war schon bekehrt, ohne es zu wissen - und dort vor Damaskus war ihm das Licht aufgegangen, da wurden ihm die Augen geöffnet, so, dass er nichts anderes mehr sehen konnte als: „Er ist es wirklich; Jesus der Gekreuzigte ist der Messias!“

Einige Zeit lebt er in Arabien - als gelernter Zeltmacher fand er dort sicher Arbeit unter den Nomaden, und dort hat er „geklärt“.

Ein profundes Wissen aus der Erziehung und dem Studium und seine überzeugenden neuen Erfahrungen und Erkenntnisse fanden zusammen zu „seinem Evangelium“.

Nicht die Bergpredigt hatte ihn überzeugt - er kannte sie nicht, nicht die Wunder Jesu - er hatte keine miterlebt, nicht die Gleichnisse vom Himmelreich - vielleicht hat er nie eins gehört. „Jesus der Gekreuzigte, gestorben für unsere Schuld und auferstanden zu unserer Rechtfertigung“, das wurde seine Botschaft.

Und diese Botschaft wurde verstanden, sie wurde angenommen und breitete sich aus in der griechisch-römischen Welt wie ein Steppenbrand. Es entstanden viele christliche Gemeinden, von denen einige im Bewusstsein geblieben sind, weil die Briefe von Paulus an sie im Neuen Testament aufgehoben wurden. Nun gibt es ja manche Botschaft, die ankommt und Massen in ihren Bann zieht - bis in unsere Zeit. Ist die Botschaft des Paulus nur eine von vielen? Nach der Musik wollen wir da hinschauen.

* * * Musik * * *

„Ob die Botschaft des Paulus, die damals von vielen angenommen wurde und zur Ausbreitung der christlichen Gemeinden führte, ob das eine Botschaft ist wie manche andere“, das war die Frage.Zwei Möglichkeiten gibt es:

Paulus hat seine Botschaft, sein Evangelium verkündet, und den Nerv der Zeit getroffen.

Oder:

Paulus hat die Botschaft, das Evangelium von Jesus Christus verkündet in einer Weise, die den Zugang dazu öffnete - auch für Heiden.

„Paulus hat das Christentum eigentlich erfunden“ wird behauptet, und es gibt einige Argumente für die Behauptung. Ausdrücklich schreibt Paulus an einigen Stellen „mein Evangelium“. Er interessierte sich scheinbar kaum für die Fakten und Geschichten, die in den Evangelien mitgeteilt und erzählt werden. Mit seiner Botschaft: „Allein durch Gnade, allein durch den Glauben wird der Mensch gerecht“ widerspricht er der ganzen jüdischen Religion, die auf den Gesetzen beruht.

Der Argumente sind noch viele, die in der Pauluskritik auftauchen. Wer die Paulus Briefe liest, der findet aber mindestens ebenso viele und wesentlich stärkere Argumente für die zweite Deutung. Paulus war ein gläubiger Jude, ein Pharisäer von der strengen Sorte. Er verteidigte das Gesetz gegen die christliche Behauptung der Erlösung aus freier Gnade.

Die Botschaft von Jesus Christus, dem gekreuzigten Messias, traf ihn unerwartet - zunächst wohl im Zeugnis seiner Opfer und dann in der blitzartigen Einsicht auf dem Weg nach Damaskus. Er erlebte die befreiende, erlösende Kraft dieser Botschaft, eigentlich die erlösende Kraft des Opfers Jesu am Kreuz, oder, wie er sagt: „des Blutes Jesu“ – und konnte hinter diese Erfahrung nicht zurück.

Von den Inhalten der Evangelien kannte er nichts (die wurden ja zumeist erst nach seinem Tod aufgeschrieben) und die verhafteten Christen werden im Verhör kaum Gleichnisse erzählt haben (die sie selbst wohl zum größten Teil nicht kannten). Nein, nicht die „jesuanische“ Botschaft vom Reich Gottes hatte ihn überzeugt und überwältigt (wie auch die 3000 ersten Christen zu Pfingsten nicht dadurch bekehrt wurden), sondern die „Botschaft vom Kreuz“ (so auch zu Pfingsten!).

Und die erlösende Kraft des Kreuzes ergreift seine Zuhörer - besser: er öffnet mit „seinem Evangelium“ den Zugang zum gekreuzigten und auferstanden Christus - damals und bis heute. Viele Millionen, Martin Luther und Martin Luther King, viele meiner Freunde und ich selbst haben diesen Zugang gefunden, und Paulus half dabei.

Wer die Bergpredigt, die Gleichnisse und Erzählungen als entscheidenden Inhalt der Evangelien ansieht - und „christliche Werte“, „christliche Ethik“, „christliche Nächstenliebe“ verkündet, dem ist Paulus mit seiner Kreuzestheologie ein Ärgernis - und das will er sicher sein. Weil viele das Neue Testament so lesen, ist die Kritik an Paulus nicht verwunderlich.

Für Menschen, die sich auf die Botschaft vom Kreuz einlassen, wird Paulus ein hilfreicher, zuverlässiger, treuer Begleiter und Freund. Dass Juden da nicht zustimmen können, ist einleuchtend - nur wenigen von ihnen wird ein Damaskuserlebnis geschenkt, doch ist das Handeln Gottes mit seinem Volk nicht unsere Angelegenheit. Christliche Theologen, die Paulus mit seiner „Kreuzestheologie“ kritisieren, sollten sich eigentlich entscheiden, ob sie weiter das Kreuz als Symbol ihres Glaubens gelten lassen.

Dr. Hans Frisch

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