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Ketzergesetze und Passion
oder : Was brachte Jesus das Todesurteil?

gesendet am 24.02.2008 von Dr. Hans Frisch
Urteil: Hinrichtung durch Kreuzigung 

Schon wieder sind wir mitten in der Passionszeit und nur noch vier Sonntage sind es bis Ostern.

"Wir haben nach geltendem Recht gehandelt"

Es wird in Predigten und Andachten davon geredet werden, wie Jesus verfolgt wurde, wie er verurteilt wurde und hingerichtet. Da gibt es verschiedene Sichtweisen und Ansichten, hilfreich könnte es sein, wenn wir einen Einblick in die damalige juristische Situation hätten, denn Urteile werden ja nach dem geltenden Recht gefällt und können nur von daher beurteilt werden. Ein Erlanger Theologe - Ethelbert Stauffer - hat die entsprechenden Gesetze, Vorschriften und Bestimmungen gesammelt und hat sie geordnet, 123 "Paragraphen" sind es geworden. Keine Angst, ich lese die jetzt nicht alle vor!

Wir kennen die Verteidigung von Tätern der Nazizeit und auch aus der DDR-Zeit: "Wir haben nach geltendem Recht gehandelt" - und oft ist diese Verteidigung erfolgreich. Bei den Folgen, die der Prozess gegen Jesus durch die Jahrhunderte hatte, besonders der Vorwurf gegen die Juden: "Ihr habt unsern Herrn Jesus getötet", da sollte die damalige Rechtslage so genau wie möglich betrachtet werden.

Geltendes Recht zur Zeit Jesu

Das höchste Gericht der Judenheit war das Synhedrium, der hohe Rat, ein Gremium von 71 Mitgliedern.

§. Das Große Synhedrium im Tempel zu Jerusalem spricht Recht in der Vollmacht Gottes. Gott selbst respektiert diese Rechtsentscheidungen.
§. Der Widerspruch gegen die Legitimation des Großen Synhedriums wird mit dem Tode bestraft.
§. Der Ungehorsam gegen eine Rechtsentscheidung des Großen Synhedriums wird mit demTode bestraft.

Wir können diese Bestimmungen ablehnen, doch waren sie damals eine Tatsache. Verständlich sind sie nur, wenn man bedenkt, es ging bei den Urteilen des Synhedriums um die Identität des jüdischen Volkes als "Volk Gottes", und das in einer sehr unruhigen und unsicheren Zeit. Die Geschichte hat gezeigt, dass dieses Volk nur überlebt hat, weil es seine religiöse Identität bewahrt hat - der Preis dafür war sehr hoch!

Hat Jesus die Obrigkeit missachtet?

Jesus hat das Gebot Gottes absolut ernsthaft beachtet - nicht aber die vielen Sonderregelungen, die daraus abgeleitet wurden. Wahrscheinlich hat er die göttliche Autorität des hohen Rates nicht anerkannt, doch war ihm das nicht nachzuweisen. Der Vorwurf taucht im Prozessbericht nicht auf.

Was wurde mit dem Tode bestraft?

Es gibt eine Reihe von Delikten, auf die die Todesstrafe stand.

§. Wer das Sabbathgebot oder eine andere Vorschrift der Thora mit Wissen und Willen übertritt, ist ein Gottesverächter.
§. Er muß verwarnt werden.
§. Wenn er auf die Verwarnung nicht hört und weiterhin gegen die Thora frevelt, muß er zum Tode verurteilt und gesteinigt werden.

Das Sabbatgebot

Gegen das Sabbatgebot hatte Jesus einige Male verstoßen. Die Beobachtung, die Kritik und schließlich die Verfolgung hatten wohl hier den Anfang. Dass jemand wegen dem Ausreiben von Ähren, also "Dreschen" am Sabbat, oder wegen dem Auftrag: "Nimm dein Bett und geh nach Hause" am Sabbat zum Tode verurteilt werden kann, ist schwer zu verstehen. Da muss man schon genau hinschauen!

"Am siebenten Tag ruhte Gott von allen seinen Werken" steht im Schöpfungsbericht. Und diesen Tag hatte er für sein Volk zum Ruhetag bestimmt. Damit verband der Sabbat das Volk der Juden mit der Weltschöpfung, und damit hatte er größtes Gewicht, er war heilig!

Auch heute noch ist der Sabbat ein Mittelpunkt jüdischen Lebens und jüdischen Selbstverständnisses. In den Augen der streng-frommen Pharisäer war Jesus schuldig, sicher gingen ihre Meldungen an das Synhedrium.

Wenn dieses Gericht auf solche Vorwürfe streng nach den Gesetzen reagiert hätte, es wäre sehr beschäftigt gewesen, denn wie auch heute dürfte die Auslegung der Sabbatgebote schon damals einigen Spielraum geboten haben. Im Prozess taucht auch diese Anklage nicht auf. Als Sabbatschänder wurde Jesus nicht verurteilt. Nach der Musik wollen wir weiter sehen, welche todeswürdigen Delikte er noch beging.

* * * Musik * * *

"Sabbatsschändung" - das war ein Anlass der Verfolgung, doch nicht die Begründung für das Todesurteil. Auch die Mißachtung des Synhedriums war nicht der Grund.

Entweihung von Tempel oder Priesterschaft

Noch heiliger als der hohe Rat waren der Tempel, die Priesterschaft und vor allem der Hohe Priester. Eine Auflehnung, eine Schmähung oder einer Entweihung von Tempel oder Priesterschaft, darauf stand die Todesstrafe.

Nun hat Jesus, als er die Tische der Händler und Geldwechsler im Tempel umwarf nur im Tempelvorhof agiert, und hat das auch fromm begründet: "Ihr entweiht mit euren Geschäften das Haus Gottes". Seine Kritik an den Priestern war so geschickt verpackt, dass er auch da nicht zu greifen war - doch, was er über den Tempel gesagt hatte, daraus wollte man ihm einen Strick drehen im Prozess: "Ich werde den Tempel einreißen und in drei Tagen wieder aufbauen" - das klang schon sehr nach Lästerung. Aber auch das reichte nicht für das Urteil.

Volksverhetzung

Besonders kritisch war der Vorwurf "Volksverführer". Das ist ein Jude, der einen andern Juden zum Abfall überredet hat oder überreden will. Jeder muss ihn anzeigen, jeder darf und muss versuchen, ihn zu entlarven. Geheimagenten des Synhedriums wurden auf ihn angesetzt, die ihm Fangfragen und Fallen stellen und wenn sie ihn überführen gleich verhaften sollen. An manchen Stellen der Evangelien begegnen wir solchen Abgesandten aus Jerusalem die Jesus Fangfragen stellen und ihn in Diskussionen verwickeln wollen - dazu gehört die Frage nach dem Zinsgroschen. Sie alle waren seiner Intelligenz und Schlagfertigkeit nicht gewachsen.
Ein besonders schweres Vergehen war die Verführung zum Massenabfall. Dann drohte sogar die Ausrottung einer ganzen Stadt, wenn mehr als die Hälfte der Bewohner dem Abfallprediger folgen.

Bei dem Zulauf, den Jesus in manchen Orten Galiläas hatte, bestand diese Gefahr durchaus. Vielleicht waren es Drohungen aus Jerusalem, die dazu führten, dass viele ihn verließen, so dass er seine Jünger fragte: "Wollt ihr auch weg gehen?" Damit sind wir schon nah an der Passionszeit.

Gotteslästerung

Der härteste Vorwurf, der jemand treffen konnte war "Gotteslästerung". Dieser Vorwurf kostet in islamischen Ländern ja auch heute manchem das Leben. Zu Jesu Zeiten war das mindestens genauso streng.

§. Wer den Gottesnamen Jahwe offen ausspricht, ist ein Gotteslästerer.
§. Wer Gott unter Nennung des Gottesnamens schmäht, ist ein Gotteslästerer.
§ Wer sich göttliche Ehren oder Reservatrechte anmaßt, ist ein Gotteslästerer.
§ Ein Gotteslästerer, der die Thora nicht kennt, muß verwarnt werden. Ein thorakundiger Gotteslästerer braucht nicht verwarnt zu werden.
§. Wer Gott mit Bewußtsein lästert, muß verhaftet und durch einwandfreie Zeugenaussagen überführt werden.
§. Der überführte Gotteslästerer wird gesteinigt.

Es wird nirgends berichtet, dass Jesus den Gottesnamen "Jahwe" offen ausgesprochen hat, erst recht nicht, dass er den Gottesnamen geschmäht hätte - doch göttliche Ehren und Reservatrechte, die hat er sich angemaßt - und wie:

"Ich bin der Weg die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich";
"Ich bin das Licht der Welt";
"Ich und der Vater sind eins"

Solche Worte klangen für fromme jüdischen Ohren anmaßend, und nicht nur für die. Am Laubhüttenfest, als am letzten, dem höchsten Tag Wasser aus dem Siloateich über den Altar geschüttet wurde, eine sakrale Handlung, da ruft er in die Stille hinein:

"Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke!
Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen."

Im Streitgespräch danach versteigt er sich zu dem Ausspruch: "Ehe denn Abraham war, bin ich" und sicher hat er dabei "bin ich" hebräisch gesprochen: "ani hu", die Aussage Gottes "Ich bin es, der euch rettet" eine Formel aus der Tempelliturgie. Da gab es keinen Zweifel, das war Gotteslästerung! Und Steinigung war die einzig richtige Antwort. Doch Jesus entwich, seine Zeit war noch nicht gekommen.

Das Sündenregister war lang

Sabbatschändung, Missachtung des große Synhedriums, Ablehnung der Priesterschaft und Entweihung des Tempels; Abfallpredigt; Volksverführung - es kommen noch einige Delikte dazu, auf welche die Todesstrafe stand. Wenn wir uns wundern, wie einer mit einer solchen Verbrechensliste solange frei herumlaufen kann - es war nicht lange. Wahrscheinlich nur eineinhalb Jahre, dann kam das Finale. Da sollten wir genau hinsehen

* * * Musik * * *

Mindestens fünf todeswürdige Vergehen

Mindestens fünf todeswürdige Vergehen waren Jesus vorzuwerfen, und doch dauerte es über ein Jahr, vielleicht zwei Jahre, bevor ein Urteil fiel. Es existieren keine Akten des hohen Rates, doch können wir begründete Vermutungen anstellen. Nicht jeder Vorwurf eines aufgeschreckten Pharisäers wurde vom Synhedrium beachtet. Als sich die Klagen häuften, da wurden "Pharisäer und Schriftgelehrte" von Jerusalem ausgesandt nach Galiläa, damit sie die Vorwürfe überprüfen. Das dauerte seine Zeit!

Das Volk um Jesus erschwerte den Zugriff

Der Zulauf im Volk zu Jesus unterstrich die Dringlichkeit der Lösung, doch erschwerte es zugleich den Zugriff. Wenn die Massen diesen für den verheißenen Messias hielten, dann konnte seine Verhaftung zum Aufstand führen, zum Aufstand gegen die jüdischen Führer und zum Aufstand gegen die römische Besatzungsmacht, und das musste in die Katastrophe führen.

Weil ein solcher messiaspolitischer Aufstand auch ohne Provokation drohte, war ein Eingreifen der verantwortlichen Führer zwingend notwendig, nicht nur aus religionsrechtlicher Sicht. Nach einem spektakulären Wunder, Jesus hatte den gestorbenen Lazarus auferweckt, da war die Begeisterung für diesen Messias so groß, dass der amtliche Todesbeschluss im Synhedrium gefasst wurde. Doch Jesus hielt sich verborgen in den Wochen vor Passah, dem jüdischen Osterfest.

Showdown in Jerusalem

Am Palmsonntag erscheint er an der Spitze einer Pilgerschar aus seiner Heimat, lauter rebellische Galiläer. Er reitet auf einem Esel, wie der Prophet die Ankunft des Messias verkündet hat, und das Volk bejubelt ihn: "Hosianna! Gelobt sei der kommt im Namen des Herrn, der König von Israel." Da war höchste Zeit zum Handeln, und Judas hilft, dass die Verhaftung ohne Aufsehen gelingt.

Der Prozess

Es gibt viele Darstellungen des Prozesses vor dem hohen Rat, wenige erscheinen glaubhaft! Da werden die Juden als böse oder blöde Karikaturen gemalt, da zeigt Mel Gibson in seinem Passionsfilm einen Auflauf wie in einer Markthalle, da wird die Verurteilung als Justizmord dargestellt - manchmal der Juden, manchmal durch Pilatus. Doch die Evangelien beschreiben einen regulären Prozess. Es wurden Zeugen aufgerufen; "aber ihr Zeugnis stimmte nicht überein" bemerkt Markus knapp.
Es gab also ein Kreuzverhör, also auch einen Verteidiger - und der war Pflicht bei Verhandlungen vor dem Synhedrium.
Es war ein regelrechter, fairer Prozeß, und Jesus - eigentlich sein Verteidiger, denn der Angeklagte schwieg hartnäckig - hatte ihn gewonnen. Da greift der Vorsitzende, der Hohe Priester Kaiphas ein - das war die einzige Verletzung der Prozessordnung, bei der Dringlichkeit und der Bedeutung des Falles aber verständlich. "Sage uns frei heraus, bis du der Christus, der Sohn des Hochgelobten?" Jetzt ist die eigentliche Frage gestellt, und Jesus antwortete sofort: "Ani Hu" - "Ich bin ER" Jesus gebraucht die Heilige Gottesbezeichnung aus dem Alten Testament und aus der Tempelliturgie für sich selbst - und das dem Hohenpriester ins Angesicht vor dem heiligen Gericht der Judenheit. Das war Gotteslästerung, das ganze Gericht war Zeuge. Beim Strafmaß gab es keinen Ermessensspielraum, einstimmig fällt das Todesurteil.

Spannend, wie das Synhedrium den römischen Prokurator Pilatus dazu bringt, das Urteil zu vollstrecken, denn den Juden war von Rom seit einem Jahr die Blutgerichtsbarkeit entzogen, doch das wäre ein Thema für Karfreitag, wir haben darüber schon früher nachgedacht, es ist im Internet zu finden.

Das Todesurteil geht nach jüdischem Recht in Ordnung

Wir haben versucht die juristische Situation zur Zeit Jesu in Zusammenhang mit seiner Verfolgung und seiner Verurteilung zu betrachten. Nach den gültigen religionsrechtlichen Gesetzen konnten Jesus mindestens fünf todeswürdige Vergehen vorgeworfen werden. Den Ausschlag zur Verhaftung brachte schließlich die kritische geschichtliche Situation mit einem drohenden messiaspolitischen Aufstand. Entgegen der allgemeinen Vorstellung und Darstellung bekam Jesus einen regelrechten, fairen Prozess vor dem Hohen Rat mit einem offensichtlich sehr guten Pflichtverteidiger. Doch als der Angeklagte vor dem Gericht dem Hohenpriester auf seine Frage mit einer Gotteslästerung antwortet, da ist der Anwalt nicht mehr gefragt, er hätte auch nichts ändern können. Das Todesurteil war nach gültigem Recht gefallen.

Dass hier nach göttlichem Recht Gottes Gerechter völlig zu Recht zum Tod verurteilt wird, das macht dieses Urteil und diesen Tod so einmalig. Auch die Jünger konnten erst nach Ostern begreifen was da geschehen ist, dass der Unschuldige starb für die Schuldigen - weil Gott es so wollte, zu unserm Heil.

Dr. Hans Frisch

 

 

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