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"Vor Palmsonntag"

gesendet am 06.04.2003 von Dr. Hans Frisch
 

In einer Woche ist Palmsonntag - und damit fängt die eigentliche Passionszeit an. Es könnte hilfreich sein, wenn wir die damalige Situation dort in Galiläa, in Judäa und in Jerusalem einmal genauer anschauen. Nun gibt es gerade in letzter Zeit eine ganze Reihe von Medienberichten und Artikeln, die aufsehenerregend sein wollen. Es werden (die zum Teil spärlichen) archäologischen und historischen Spuren vorgezeigt und daraus (zum Teil sehr weitgehende) Schlüsse gezogen und Urteile gefällt - die natürlich je nach Vorurteil ausfallen.

Auch wir haben ein Vorurteil. "Was damals im Judäa geschehen ist, geht uns persönlich etwas an" - prägnanter und direkt: "Jesus ist für uns, für mich dort am Kreuz gestorben". Wenn das so ist, dann sind die Fragen nach den historischen und archäologischen Einzelheiten eigentlich zweitrangig. Wenn es nicht so wäre, dann bleibt das damals Geschehene immer noch das Ereignis, welches die Weltgeschichte mehr beeinflusst hat als die meisten anderen.

So oder so - es ist interessant die Geschichte genauer anzusehen. Zunächst die geographische und politische Situation: Galliläa und Judäa mit Jerusalem haben wir erwähnt. Die heutigen Karten von Israel lassen die damaligen Regionen nicht direkt erkennen. Im Norden Galiläa, das ist fast gleich. Damals schloß sich südlich daran Samaria, ein Gebiet, dessen Bevölkerung Eigenheiten hatte, so dass die für Juden suspekt, für die Frommen als unrein galten. Südlich davon das große Gebiet der Provinz Judäa, vom heutigen Tel-Aviv über Jerusalem bis an den Jordan als nördliche Begrenzung, und im Süden bis Berscheba in der Wüste und zum Gaza-Streifen am Mittelmeer.

Wer schon in Israel war, der kennt die Vielfalt der Landschaften - wer etwas von der Geschichte kennt, der weiß, dass dies das Reich von Herodes dem Großen war, zur Geburtszeit von Jesus, dass es nach dessen Tod unter die Herodessöhne aufgeteilt wurde und dass in Judäa der Herodessohn von den Römern abgesetzt und verbannt wurde wegen seiner Grausamkeit. Seitdem herrschte in Judäa ein römischer Statthalter, zur Zeit unserer Geschichte war das Pilatus, der erste Statthalter der seinen Posten länger innehatte. Er hatte sich arrangiert mit dem Hohenpriester Kaiphas. "Ich sorge an der politisch-militärischen Front für Ruhe, du an der religiös-fanatischen Front." Und beide waren da beschäftigt.
Politisch war Judäa eine römische Provinz und Galiläa einen Vasallenstaat - die Steuerbelastung war für beide gleich schwer, denn Rom ließ seinen Luxus aus den Provinzen finanzieren. Und gerade bei den Juden regte sich Widerstand. "Wir sind das Volk Gottes, die Römer sind Heiden." Mit diesem Bewußtsein überfielen die Zeloten römische Trupps und erstachen die Sikkarier einzelne Römer. Sie hatten Sympathien bei den Frommen und konnten im Volk untertauchen. Trotzdem wurden immer wieder einige der Widerstandskämpfer gefaßt und Kreuzigungen waren an der Tagesordnung.

Den fanatisch Frommen ging der Widerstand nicht weit genug. Ein großer Aufstand, wie damals vor 200 Jahren, als der Makkabäeraufstand die Griechen verjagt hatte, das wäre nötig. Alle Zeichen der Zeit sprachen doch dafür, dass jetzt das Reich Gottes anbrechen muss. War nicht der Täufer dort am Jordan der verheißene Prophet Elia, der das Kommen des Messias ankündigte?

Aber damit geraten wir schon an die religiös-fanatische Front, und für die war Kaiphas zuständig.
Nach der Musik wollen wir da den Blick hin richten.

Musik

An der politisch-militärischen Front war es unruhig dort in der Provinz Judäa - wie gefährlich die Unruhe an der religiös-fanatischen Front werden kann, das erfahren wir in unserer Zeit täglich aus den Nachrichten. Damals braute sich etwas zusammen im religiösen Bereich gegen die Römer. Die Wurzeln dafür reichen tief in die jüdische Geschichte: Einmal war Israel ein Großreich gewesen, von Damaskus bis zum Roten Meer, von Mittelmeer bis ins heutige Jordanien. Das lag 1000 Jahre zurück, unter dem König David. Danach kam die Spaltung des Reichs, die Auslöschung von 10 Stämmen Israels durch Assyrien, der Überlebenskampf von Juda, die babylonische Gefangenschaft und die Befreiung durch die Perser, die griechische Herrschaft unter Alexanders Nachfolgern, der Befreiungskampf der Makkabäer, die römische Besatzung und Herrschaft - und immer die Hoffnung: "Gott hat einen König auf Davids Thron, einen Gesalbten Gottes, den Messias, verheißen, der das Reich Gottes bringen wird. Dann wird SEIN Volk Mittelpunkt und Jerusalem Heiligtum aller Völker sein."
"Der Prophet Elia wird vorher wieder kommen und sein Volk darauf vorbereiten. Nach einer Zeit großer Drangsal wird das geschehen."

Die Drangsal war gegenwärtig und es kursierten Schriften, "Apokalypsen", unter dem Pseudonym von Daniel, Henoch und anderen biblischen Gestalten, die zeigten eindeutig, dass die Zeit reif ist für den Anbruch von Gottes Reich. Deshalb hatte auch der Täufer am Jordan einen solchen Zulauf, denn das mußte der Prophet Elia sein.

In Qumran hatte sich eine strenge Klostergemeinde gebildet, die bereitete sich auf den "Kampf der Söhne des Lichts gegen die Söhne der Finsternis" vor und hatte schon die Schlachtordnung geschrieben und die Tischordnung für das messianische Siegesfest aufgestellt.

Sie lebten unten im Jordangraben, neben dem Toten Meer. Johannes der Täufer stammte wahrscheinlich aus ihrer Gemeinschaft. Er taufte ganz in der Nähe im Jordan, dort wo gegenüber von Jericho einst Elia im feurigen Wagen in den Himmel geholt wurde. Er predigte den Anbruch von Gottes Reich, rief auf zur Buße und taufte die Bußfertigen zur Vergebung der Sünden. Es war eine tief-religiöse Bewegung, die sich hier zeigte - und Johannes verband diese mit der Person Jesus, als er ihn taufte.

Von der Priesterschaft wurde Johannes und dann auch Jesus sehr kritisch beobachtet. Sie wußten: Die Verschmelzung des militärischen Widerstandes mit der religiösen Bewegung, das wäre explosiv. So hatte der Makkabäeraufstand damals angefangen - doch ein Aufstand gegen die Römer hätte keine Chance. Und die, die sich mit den Römern arrangiert hatten, mit allen Vorteilen die sie dadurch hatten, sie wären von einem solchen Aufstand hinweggefegt worden. Wie oft in der Religionsgeschichte gehörten auch damals die Priester nicht unbedingt zu den ganz Frommen, dafür zu den ganz Reichen. Die meisten Priester waren liberale Sadduzäer, die Religion mehr philosophisch sahen, an Auferstehung und jüngstes Gericht nicht glaubten und von den Frommen, besonders den Pharisäern, den "ganz Reinen", sehr kritisch betrachtet wurden. Daneben profilierten sich die Schriftgelehrten, gewissermaßen religiöse Juristen, die alles genau wußten und Autorität beanspruchten, ähnlich den Mullahs im Islam.

Das einfache Volk wurde von den Sadduzäern belächelt, von den Pharisäern verachtet und von den Schriftgelehrten verurteilt, doch war es deshalb gerade empfänglich für prophetische Gestalten.

Und es ging zu ihm hinaus das ganze jüdische Land und alle Leute von Jerusalem und ließen sich von ihm taufen im Jordan und bekannten ihre Sünden

So beschreibt Markus den Zulauf zum Täufer Johannes.
Volksmassen folgten auch Jesus, der die Sadduzäer verachtete, die Pharisäer kritisierte und die Schriftgelehrten mit ihren eigenen Waffen schlug, und der Gemeinschaft mit ihnen suchte, den einfachen Menschen, den Sündern und Zöllnern. Die sich von dem prophetischen Johannes hatten taufen lassen meinten wohl, dieser ist nun der Messias. Zwar redete Jesus anders vom Reich Gottes als sie es erwarteten. Als sie ihn zum König ausrufen wollten, damals bei der wunderbaren Speisung von Tausenden, da hatte er sich ihnen entzogen - doch irgendwann mußte er sich offenbaren als der von Gott Gesalbte, der König auf Davids Thron. Durch dieses Spannungsfeld ging Jesus seinen Weg, und den wollen wir anschauen nach der Musik.

Musik

Wenn die frühkindliche Prägung eines Menschen entscheidend für sein Leben wird, dann mußte die fromme Mutter Maria, durch eine Engelsbotschaft überzeugt von der Sendung ihres Sohnes, Jesus auf einen ganz besonderen Weg geführt haben.
Ein Kind, das erfährt: "Wir mußten fliehen nach Ägypten, denn der König Herodes wollte dich töten weil du der Messias bist" - wenn dieser Junge dann Schreiben und Lesen lernte mit dem Buch, das von der Messiaserwartung des Volkes Gottes berichtet, dann ist er geprägt für das ganze Leben. Er weiß um seine Sendung, auch als der Zwölfjährige erfahren muss, dass sie seiner Mutter nicht mehr bewußt ist, damals im Tempel von Jerusalem.

Doch erst mit 30 Jahren wird es konkret. Sein Verwandter und Freund tauft am Jordan, und er geht auch zu ihm. Bei der Taufe hört er die Worte, die Gott dem König zusprach bei der Salbung: "Du bist mein lieber Sohn."

Nach 40 einsamen Tagen in dem wüsten Bergland von Judäa sind alle Zweifel überwunden und er tritt öffentlich auf, sucht sich Begleiter und verkündet, was ihm zur Gewißheit geworden ist: "Das Reich Gottes ist angebrochen mit mir." Und er redet in einfachen, genialen Worten und Bildern von diesem Reich. Tempel und Priesterschaft haben darin keine Bedeutung, die stolze Frömmigkeit der Pharisäer zählt darin nicht und die Gesetzlichkeit der Schriftgelehrten ist ausgehebelt durch die vergebende Gnade Gottes, die er nicht nur verkündet, sondern die in ihm Realität, Person geworden ist.

Weil aber die Macht der Priesterschaft auf der Geltung des mosaischen Gesetzes beruht, der Hochmut der Pharisäer in der strikten Einhaltung des Gesetzes gründet und die Bedeutung der Schriftgelehrten aus der genauen Kenntnis und verbindliche Auslegung des Gesetzes kommt, deshalb ist ihre Feindschaft zu Jesus unabwendbar. Sie wird noch schärfer, als der Zulauf zu Jesus wächst, als er durch offensichtliche Wunder Autorität bei denen Massen gewinnt und in keine der von Hinterhaltzeugen gestellten Fallen geht, ja, aggressiv gegen Priesterschaft, Pharisäer und Schriftgelehrte predigt.

Aufmerksam werden die Delikte gegen das Religionsgesetz registriert:
Er ist ein Pseudoprophet, denn das verheißene Reich Gottes wird nicht sichtbar;
er ist ein Abfallprediger, denn er widerspricht der geistlichen Autorität des Tempels und der Priester;
er mißachtet die Autorität des Synhedriums, des höchsten Gerichts der Judenheit;
er maßt sich göttliche Sonderrechte an, ein Sakrileg;
er vollbringt Wunder mit der Macht des Teufels.

Jedes für sich ist ein todeswürdiges Verbrechen. Aber Jesus geht seinen Weg unbeirrt. Alle Angriffe prallen ab an seiner profunden Kenntnis der Thora und der Propheten, zu der er in den 30 Jahren seiner Reifung gekommen ist. Auch die Erwartungen der Massen auf einen politisch-militärischen Führer und Erlöser erreichen ihn nicht. Je größer der Widerstand wird und je größer das Mißverständnis der Massen um so sicherer wird ihm seine Sendung als "leidender Gottesknecht der sein Leben hingibt zur Erlösung der vielen". Da wenden sich die Massen von ihm ab, nur die zwölf Begleiter bleiben bei ihm - einer wohl mit der verzweifelten Hoffnung, dass Jesus sich doch noch als der machtvolle Retter offenbart.

Als er beim Laubhüttenfest die Frommen so provoziert, dass sie ihn steinigen wollen, er entweicht über den Jordan in das Gebiet von Herodes Antipas, dem König von Galiläa, wo ihn die Tempelpolizei nicht greifen darf.
Als ihn dort die Nachricht aus Bethanien bei Jerusalem erreicht: "Lazarus, dein Freund ist krank. Komm und hilf ihm", geht er hinauf. Lazarus ist gestorben, doch er ruft ihn aus dem Grab: Ein Wunder, das zu glauben schwer fällt - doch für Jesus, der bereit war, den Weg ans Kreuz zu gehen und sich Gott im Tode anzuvertrauen, war dieses Wunder wohl die Bestätigung die er brauchte - und das gleichzeitig sein Schicksal entschied. Die Priesterschaft merkte, mit der Autorität die ihm dieses Wunder gibt, ist er der Führer, auf den die Massen warten. Sie beschließen seinen Tod.

Musik

Wir wollten die damalige Situation in Galiläa, in Judäa und Jerusalem anschauen. Galiläa ist aber bisher noch nicht in den Blick gekommen.
Es war die Heimat von Jesus und dort hatte auch die meiste Zeit seines öffentlichen Auftretens zugebracht: Nazareth, Kapernaum, See Genezareth.
"Galiläa der Heiden", so wurde es in Jerusalem genannt, denn sehr tempelfromm waren sie nicht, die Galliläer. Dafür waren sie aufsässig, freiheitsliebend und ehrgeizig. "Der Galliläer fragt zuerst nach der Ehre, der Jude zuerst nach dem Geld" war ein Urteil aus damaliger Zeit. Und Galliläer waren Jesu Anhänger gewesen - für Jerusalem, als religiösem und religionsrechtlichem Zentrum bedenklich.

Ein Jahr vor unserer Geschichte, da hatten die Pilger aus Galliläa im Tempel von Jerusalem rebelliert. Pilatus mit deiner Wachtruppe hatte damals blutig für Ruhe gesorgt. So ist verständlich, dass in diesem Jahr die Ankunft der Pilger aus dem Norden sehr wachsam beobachtet wurde.

Jesus hatte sich verborgen gehalten nach der Auferweckung des Lazarus, er wurde steckbrieflich gesucht. Trotzdem machte er sich auf den Weg nach Jerusalem zum Passahfest. Zum dritten Mal kündigt er seinen Jüngern sein Leiden und seinen Tod an.
Der Zug der Passahpilger aus seiner Heimat kommt durch den Jordangraben bis nach Jericho, von hier aus folgt der Aufstieg nach Jerusalem - von 360 Meter unter den Meeresspiegel auf 800 Meter Höhe, auf einer Strecke von 25 Kilometern. Die Landsleute erkennen ihn, scharen sich um ihn und hoffen auf den großen Tag. Was dann folgt, ist die Geschichte des nächsten Sonntag, der Einzug in Jerusalem am Palmsonntag, und ich hoffe, das Team der Sendung erzählt sie, denn sie ist sehr spannend.

Für Jesus war der Ritt auf dem Esel der Weg zu Verhaftung Verhör, Verurteilung, Folter und Kreuzigung.
Freiwillig ist er diesen Weg gegangen, wissend um die Qualen, im Vertrauen auf seine Sendung. "Weil er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat" schreibt der Prophet Jesaja vom leidenden Gottesknecht, "wird er mein Knecht, der Gerechte, den vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden".

"Dafür dass er sein Leben in der Tod gegeben hat und den Übeltätern gleich gerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und für die Übeltäter gebeten".

Es gibt zwar kein schriftliches Dokument oder archäologisches Zeugnis dafür, dass Jesus diese Sätze auf sich bezogen hat, doch ist es undenkbar, dass sie ihm nicht im Bewußtsein waren auf seinen Weg ans Kreuz. "Geduldig wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, tat er seinen Mund nicht auf", schreibt der Prophet, und die Evangelien bezeugen, dass Jesus schwieg zu allen Anschuldigungen und dass er noch am Kreuz für seine Peiniger gebetet hat. Keiner, auch nicht die Jünger begriffen damals, was da geschah. Erst nach Ostern wurde es ihnen klar, dass Jesus als Sündopfer für sie und für alle gestorben war und dass Gott dies durch die Auferweckung besiegelt hat.

Wenn es einen Gott gibt, der mit uns Menschen etwas zu tun haben will, dann hat Jesus an ihn geglaubt, zu ihm eine Beziehung gehabt wie kein Mensch zuvor oder danach. In diesem Glauben ist er gestorben, und er meinte, er tut es für mich.
Sollte er sich getäuscht haben, dann brauche ich nicht, dann braucht kein Mensch versuchen, eine Beziehung zu Gott zu finden. Wir hätten keine Chance.

Ich bezeuge, wie viele Millionen Menschen der vergangenen zwei Jahrtausende: "Er hat sich nicht getäuscht - er ist für mich gestorben und er lebt."

Dieses Vorurteil erscheint mir besser begründet als die vielen Einwände auf Grund zweifelhafter spärlicher historischer und archäologischer Spuren.

Dr. Hans Frisch

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