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Pfingsten 2005
gesendet am 15.05.2005 von Dr. Hans Frisch
 

Die Fernsehbilder aus Rom sehen wir noch vor uns: Menschenmassen in andächtiger Ruhe, aufmerksam, gesammelt - Menschen aus vielen Nationen und Sprachen.
So war es am Pfingstfest vor eintausendneunhundertdreiunsiebzig Jahren im Tempel von Jerusalem. Im weiten Tempelvorhof waren Pilgermassen versammelt, nicht nur aus der Stadt und aus der Umgebung - für alle die in Jerusalem und bis zu einer Tagesreise entfernt wohnten war die Teilnahme an dem Fest Pflicht - es waren noch viele Juden aus den umliegenden Ländern, aus der Diaspora, in der Stadt. Vor 50 Tagen hatten sie Passah gefeiert, das wichtigste Fest der Judenheit. Es erinnert und vergegenwärtig die Befreiung aus Ägypten. Und nun waren sie geblieben, um auch "Schawuot", das "Wochenfest" zu feiern.

Sieben Wochen nach dem Auszug aus Ägypten, da waren die Kinder Israel damals an den Berg Horeb auf der Sinaihalbinsel gekommen, und dort hatte Gott seinen Bund geschlossen mit ihnen. Er gab Mose das Gesetz als Bundesurkunde - und so wurden sie das "Volk Gottes".

Heute noch zählen fromme Juden die Tage nach Passah im Abendgebet:

1. Tag des Opfers, 2. Tag des Opfers bis schließlich nach dem 49. Tag das Fest des Bundesschlusses erreicht ist. Deshalb beginnt auch der Bericht über das Pfingstereignis, das wir Christen feiern: "Als der Tag der Pfingsten erfüllt war" - "erreicht war" würden wir das heute übersetzen.

Und warum plötzlich "Pfingsten" statt "Schawuot" oder "Wochenfest"?
"Der fünfzigste" heißt auf griechisch "pentekoste", und daraus ist "Pfingsten" geworden, "der 50. Tag".

Doch zurück nach Rom. Stellt euch vor, dort auf dem Petersplatz, da steht eine Gruppe von 100 bis 120 Männern zusammen, sie beten gemeinsam und plötzlich gibt es einen rauschenden Windwirbel der sich auf die Gruppe herab senkt, darin flackert es wie Flammen. Alle Fernsehkameras schwenken dorthin. Dann beginnen die laut in einer Sprache zu reden und zu singen, einer Sprache die niemand kennt, die aber alle mitnimmt, die alle anrührt, denn es ist eine begeisterte Anbetung Gottes. Italiener und Polen, Engländer und Afrikaner, Deutsche und Inder, alle sind davon angesprochen und bewegt.

Nein, nicht alle. Einige zucken die Schultern, grinsen und halten die für betrunken, und sie sagen ihre Meinung auch deutlich. So etwas ist damals dort im Tempel passiert:

Und als das Fest der Pfingsten erfüllt war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen.

Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.

Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden.

Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden.

Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden?
Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein.

Die Jünger Jesu waren mit im Tempel, selbstverständlich, denn sie waren fromme Juden. Es waren nicht nur die Zwölf - in der Zeit zwischen Ostern und Himmelfahrt, da hatten viele Begegnungen mit dem auferstanden Jesus gehabt und auch die Himmelfahrt miterlebt.

* * * Musik * * *

Es war schon eine eigenartige Geschichte, die dort passierte. Doch dann beginnt Petrus mit einer Erklärung, und es wird die erste christliche Predigt. Wenn man genau hinsieht, ist es die wichtigste Predigt der Menschheitsgeschichte.

Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: "Ihr Juden, liebe Männer, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und laßt meine Worte zu euren Ohren eingehen! Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage; sondern das ist's, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist."

So beginnt er und er zitiert Texte aus dem Alten Testament - aus dem Wort Gottes. Er schließt:

"Diesen Jesus hat Gott auferweckt; dessen sind wir alle Zeugen.
So wisse nun das ganze Haus Israel gewiß, dass Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Christus gemacht hat."

Was er verstanden hatte in den 40 Tage nach Ostern, dass der Tod Jesu dort am Kreuz nicht das Ende ihrer Hoffnungen auf den Messias war, sondern der Anfang des neuen Bundes, den Gott durch die Propheten verheißen hatte - das spricht er aus und die anderen verstehen es auch.

Als sie aber das hörten, ging's ihnen durchs Herz und sie sprachen zu Petrus und den andern Aposteln: "Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun?"

Petrus sprach zu ihnen: "Tut Buße und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes. Denn euch und euren Kindern gilt diese Verheißung und allen, die fern sind, so viele der Herr, unser Gott, herzurufen wird."

Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen; und an diesem Tage wurden hinzugefügt etwa dreitausend Seelen.

Es ist die Geburtsstunde der Kirche. Etwa 3000 Seelen, das klingt unglaublich, wie so vieles in der Bibel.

Wenn in Rom die Pilgermassen, die eben noch um Johannes Paul II. getrauert haben, dem neuen Papst Benedikt VI. zujubeln, dann ist das einleuchtend - der Kardinal Joseph Ratzinger war bekannt. Aber, wer kannte damals in Jerusalem diesen Jesus.

Sicher, hier und da hatten Menschen seine Reden gehört, waren angerührt von den Gleichnissen, staunten über die Wunder, die geschehen waren, doch er war gestorben am Kreuz. Und jetzt - 3.000 Bekehrungen an einem Tag, nach einer Predigt? Das ist heute unvorstellbar. Wir müssen schon genau hinsehen, wenn wir verstehen wollen was damals geschah.

50 Tage, genauer 51 Tage waren vergangen, seit Jesus am Kreuz gestorben war. Es war dort auch die Hoffnung, ja, der Glaube der Jünger gestorben, dass dieser Israel retten würde, dass er der Messias ist der das Reich Gottes bringt. Nicht nur die Jünger hatten die Hoffnung gehabt, viele warteten auf das Kommen des Messias und auf den Anbruch des Gottesreiches.

Wer sich darunter nichts vorstellen kann, der sollte einmal hinhören, was für Erwartungen an den Sieg des Kommunismus geknüpft waren: Frieden, Gerechtigkeit, Wohlstand, Freiheit von äußeren und inneren Zwängen - fast ein Paradies. Mindestens so sollte das verheißene Gottesreich sein. Viele hofften damals darauf, sie hofften, dass der Messias kommen würde.

Dann war der Täufer dort am Jordan aufgetreten. Er hatte ihn angekündigt - in Scharen waren sie zu ihm gelaufen und hatten sich taufen lassen zur Vergebung der Sünden, in einen neuen lebendigen Glauben und in die Erwartung des Messias. Es war eine erwartungsvoll gespannte Zeit in die Jesus kam - und auch er ließ sich taufen von Johannes.

Etwas versteckt findet sich in den Evangelien der Hinweis, dass Jesus eine ganze Zeit bei Johannes dem Täufer geblieben ist. Als nun Jesus erfuhr, dass den Pharisäern zu Ohren gekommen war, dass er mehr zu Jüngern machte und taufte als Johannes - obwohl Jesus nicht selber taufte, sondern seine Jünger - steht im Johannsevangelium. Und die meisten von denen, die Jesus dort begegnet waren, vielleicht sogar von ihm getauft wurden, die sind dort im Tempel. Sie erleben das sensationelle Ereignis mit und hören die Predigt des Petrus.

Petrus kannte ihre Erwartungen aus eigener Erfahrung, und er fand die Worte, die sie verstanden. "Der dort am Kreuz gestorben ist, der Jesus, den ihr kennt, den hat Gott auferweckt und zum Christus gemacht - des sind wir alle Zeugen." Er sagt weiter, was er selbst verstanden hatte in den 40 Tagen zwischen Ostern und Himmelfahrt. Für die Zuhörer ist es überzeugend: "Es ging ihnen durchs Herz."

So entsteht die erste Gemeinde von Christen dort in Jerusalem - und damit ist dieses Pfingstfest wirklich die Geburtsstunde der Kirche.

* * * Musik * * *

Nun haben wir einiges gehört von dem Pfingstfest damals in Jerusalem und auch von der Geburtsstunde der Kirche. Vom Heiligen Geist haben wir nicht gesprochen. Das ist auch viel schwieriger, als Geschichten zu erzählen. Denn was ist Geist?

Wir waren in dem neuen Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin. Dort zwischen den Betonstelen, da kann einem der Ungeist jener Zeit begegnen in seiner grausamen Gewalt. Es macht ohnmächtig, weil es unbegreiflich ist. Ein Geist der Feindschaft, der Vernichtung, des Mordens.
Der Heilige Geist ist das völlige Gegenteil, er ist ein Geist der Beziehung, der liebenden Beziehung.

Wieder müssen wir nach Jerusalem. In den Abschiedsreden vor der Passion sagte Jesus zu seinen Jüngern:

"Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch, bleibt in meiner Liebe."

Er hat ihnen den Heiligen Geist verheißen:

"Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen."

Der Ungeist der Nazizeit hatte keine Dauer - Gott sei Dank. Der Ungeist des Stalinismus auch nicht - doch hier und da wird diese grausame Macht in anderer Gestalt wieder sichtbar. Die Menschheitsgeschichte ist durchsetzt davon.

Der Geist Gottes ist das Gegenteil davon. Es spricht nicht zu den Massen, sondern zu jedem ganz persönlich.

"Wir werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen"

sagte Jesus. Auch dort, bei den 3000 kam jeder persönlich, tat Buße, d. h. er kehrte um zu Gott, und ließ sich taufen. So wenig, wie du einem andern wirklich erklären kannst, wie es ist verliebt zu sein, so wenig kann ich erklären, was die Liebe zu Jesus und die Liebe Gottes, die der Heilige Geist uns spüren lässt, was das wirklich ist.

"Die Welt kennt ihn nicht und sieht ihn nicht",

hatte Jesus gesagt. Aber so, wie dein Bruder oder dein Freund merkt, wenn du verliebt bist - so verändert die Liebe Gottes, der Heilige Geist, den Menschen.
Christlich an mir ist nur das, was durch diese Liebe an mir verändert ist und sich entwickelt hat und noch entwickelt. Die Kraft, durch die das geschieht, das ist der Heilige Geist.

Das klingt jetzt sehr privat, aber wenn wir sehen könnten, was in der Menschheit dadurch geschehen ist und geworden ist, was ständig dadurch geschieht, wir wären erschüttert. "Der Heilige Geist ist der Geist der liebenden Beziehung" das hat uns ein Profi einmal erklärt. "Überall wo Liebe ist, wirkt dieser Geist. Auch in der Biologie und in der Chemie" meinte er.

Darüber könnte man streiten, doch hat mir dieser Satz die Augen geöffnet für die Heiligkeit der Liebe. "Gott ist Liebe", sagt die Bibel, in Jesus hat er sich als der Liebende offenbart. Dann kann ich diesem Profi auch zustimmen, wenn er sagt: "Der Heilige Geist ist der große Liebhaber."

Wirklich begreifen werden wir ihn genauso wenig wie wir den Ungeist begreifen können, dem wir dort in Berlin begegnet sind - doch auf den Geist Gottes, auf diesen Liebhaber sollten wir uns einlassen, nicht nur zu Pfingsten.

Dr. Hans Frisch