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Ist Gott ein Irrtum?

gesendet am 7. Februar 2016 von Dr. Hans Frisch
 

Der Spiegel: Vom Himmel hoch - Titelseite DER SPIEGEL, Ausgabe Nr. 53 / 2015
Titelseite DER SPIEGEL, Ausgabe Nr. 53 / 2015
http://www.spiegel.de/spiegel/print/index-2015-53.html
Zu Weihnachten schmückte ein Weihnachtslied das Titelblatt des Spiegel – „Vom Himmel hoch“ so steht es da (rechts im Bild), golden an einem weiten Himmel, an dem Sternennebel und die Milchstraße bläulich schimmern, über einer dunklen Erde mit mattem Abendrot am fernen Horizont. Doch es sind nicht Engelschöre die herniederschweben - Gottvater stürzt herab mit wehendem rot-blauen Gewand, weißlockig und weißbärtig. Sein Heiligenschein ist abgefallen und stürzt schon voraus. Und auf der dunklen Erde zwei Fragen: „Ist Gott ein Irrtum?“ Und „Der Mensch nur ein Zufall?“

Eine E-Mail hatte ich nach Weihnachten bekommen: „Hans, vielleicht interessiert es dich“ mit einem Link zum „Spiegel-online“. Natürlich interessierte es mich; ich habe den Artikel gekauft und heruntergeladen, nicht mal 4 Euro hat er gekostet, nur 3,99 €. Für den Beitrag über Star-Wars hatte ich alle sechs Filme gekauft, für 50 €. Also dies wird ein billiger Beitrag.

Der Hamburger Pastor Claussen und der britische Astrophysiker Ben Moore (aus Zürich) waren eingeladen zum Streitgespräch. Thema: „Wir wollen unsterblich sein“. Mit missionarischem Eifer redete der Physiker von menschlichem Verstand, von den großen Fortschritten, die wir noch machen können, von der Zukunft, wenn wir zu den Sternen reisen werden und uns ansehen, was dort existiert.

Auf die Frage: „Können Sie ausschließen, dass da mehr ist als das Sichtbare und Verstehbare“ antwortet er: „Ich für mich schließe es aus, ich weiß auch nicht woher das Bedürfnis kommt.“ – Und merkt nicht, dass er damit ein Glaubensbekenntnis ausspricht. Aus irgendeinem Bedürfnis hat er sich für diesen Glauben entschieden.
Er findet auch „völlig O.K.“ wenn andere an Gott glauben, doch: „Ich würde aber hinzufügen: Versucht nicht andere von euren Ideen zu überzeugen, denn damit richtet ihr nur Katastrophen an, dann geht es plötzlich um Kontrolle, um Gehirnwäsche.“ Das Recht, andere von seinen Ideen zu überzeugen, meint er selbstverständlich zu besitzen.

Der Pastor antwortet auf die Frage: „Richten Sie Katastrophen an, Herr Claussen?“ „Jede Kultur ist ambivalent. In allen steckt das Gute und das Böse“ und auf die Rückfrage: „Auch in der Religion?“ „Natürlich. Im Journalismus übrigens auch“ und weist auch auf die Wissenschaften hin - „Physiker sind beispielsweise für die nukleare Bedrohung verantwortlich.“

Es wird ein langes Gespräch - doch es ist kein Gespräch sondern eine Diskussion, wie bei einer Talkshow im Fernsehen – nie ist da die Chance, dass einer seine Meinung durch die Worte des andern ändert.

Die Meinung des Physikers verstehe ich so: Wir haben erkannt, dass der Kosmos sich ausdehnt – er muss also einen Anfang gehabt haben. Wir können zurückrechnen bis in den Urknall. Alles was danach geschah war reiner (ich würde sagen „blinder“) Zufall. „Wir sind durch Zufall hier, wir sind hier, weil Moleküle diesen erstaunlichen Weg von Bakterien zu Elefanten oder Menschen eingeschlagen haben, es gibt keine Regeln, wie Moleküle sich verhalten sollen. Es ist erstaunlich, es ist großartig, dass wir hier sind, aber es steckt kein Sinn dahinter.“ Als dunklen Hintergrund, auf dem er seine Botschaft leuchten lässt, sieht er den religiösen Schöpfungsglauben, speziell den der Bibel.

Auf den Hinweis des Pastors, dass wir Menschen des 21. Jahrhunderts diese Geschichte nicht mehr lesen als Erklärung, wie die Welt entstand antwortet er: „Die Bibel ist das Buch, nach dem Sie sich richten müssen, entweder folgen Sie ihm oder nicht, aber es in jeder Epoche anders verstehen zu wollen – das geht doch nicht".“

Und dann fragt er: „Aber warum halten Sie sich damit auf, etwas zu glauben? Warum setzen Sie nicht Ihre ganze Energie daran, Dinge zu wissen?“

Dann kommt das Gespräch darauf, wie schrecklich die Frauen in der Bibel behandelt werden, auf die Meinung eines frommen Boxweltmeisters zur Homosexualität und Abtreibung, auf die Verwandtschaft von Tieren und Menschen, darauf das alles in unserem Gehirn, auch das Denken und Fühlen, nur molekulare Interaktionen sind, von Hormonen gesteuert.

Als der Pastor auf die Errungenschaft der Religionsfreiheit hinweist: „Das ändert nichts daran, dass wir, solange wir die Religion nicht loswerden, in einem dunklen Zeitalter gefangen bleiben".

Musik

Auf 22 Seiten ist das Gespräch wiedergegeben – auf Seite 12 meint der Physiker: Wenn ich mir anschaue, was organisierte Religion mit unserer Welt gemacht hat. Wie sie die Menschen in Angst versetzt hat, wie sie ihnen schadet und sie traurig macht. Ich respektiere den Glauben eines jeden. Aber wenn es darum geht, was diese organisierten Banden und Horden treiben, die sich Kirche nennen, dann nenne ich das eine Schande.“

Auf der der nächsten Seite: „Nach wie vor liefern Religionen die Hauptgründe für Krieg, weltweit. Wir haben jetzt diesen schrecklichen Terror, diese Kriege im Nahen Osten. Und alles dreht sich um Religion. Denken Sie nur an die Selbstmordattentäter. Sie bringen sich und andere um, weil man ihnen erklärt hat, dass sie im Jenseits von 72 Jungfrauen erwartet werden. Wenn Sie an so etwas nicht glauben, werden Sie es sich mindestens zweimal überlegen, ob Sie Ihr eigenes Leben opfern wollen.“

Schließlich: „Wegen der Religionen haben Hunderte Millionen Menschen ihr Leben verloren". Und er fragt den Pastor: „Sind Sie wirklich bereit so viele Menschen dafür zu opfern, dass es Religion gibt?"
Leider ließ sich der Pastor darauf ein, Religion auf eine Frage von Gut und Böse zu begrenzen. Er fragte nicht zurück, wie eine Menschheit ohne Religion denkbar ist - zumindest in ihrer Geschichte.

Eine ägyptische Kultur ohne Pyramiden und Tempel, eine babylonisches Reich ohne Zikkurate und ohne die Löwenstraße von Babylon mit dem Ischtartor (in Berlin ist das zu bewundern), Griechenland ohne griechische Tempel.

Jede Gemeinschaft braucht eine heilige Mitte. Die Reiche, die Ursprung der Menschheitskulturen sind, brauchten einen heiligen Herrscher - der nur durch seine besondere Beziehung zur Gottheit, oder selbst als göttlich, Gültigkeit hatte (unabhängig davon, ob es diesen Gott gibt oder nicht).

Die Religiosität ist eine menschliche Grundeigenschaft, gewissermaßen die Antenne, über die Struktursignale in eine Gesellschaft gelangen und wirken. Andernfalls hätte die geschichtliche Evolution sie nicht bewahrt bis ins 21. Jahrhundert. Wer den Film von Leni Riefenstahl über die Reichsparteitage in Nürnberg anschaut, der sieht die andächtigen Massen unter dem Lichtdom von 150 Flakscheinwerfern, die 10 Kilometer in den Himmel strahlen, der sieht, wie die religiösen Bedürfnisse von Menschen wirken, und wie sie missbraucht werden können. Ähnlich religiös aufgeladen war der Stalin-Kult - und Mao Dse Dung wurde gefeiert wie ein Gott.

Auch in unserem normalen Leben machen wir religiöse Erfahrungen. Die neunte Symphonie zu Silvester, der Blick in die Bergwelt vom Gipfel, die Erschütterung der ersten Liebe. Auch Ben Moore bekennt: „Es ist erstaunlich, es ist großartig, dass wir hier sind". Dieses Wunder rührt an seine religiöse Antenne - doch trotzig behauptet er: „Aber es steckt kein Sinn dahinter!"

„Feinabstimmung“ nennt die Wissenschaft das unglaublich präzise Zusammenpassen aller physikalischen Grundgrößen, wie Gravitationskonstante, starke Wechselwirkung, schwache Wechselwirkung und einige andere, ohne das die Evolution des Kosmos vom Urknall bis zu uns nicht denkbar ist.
Die geringste, die aller-, allergeringste Abweichung einer dieser Größen - uns gäbe es nicht. Man könnte versuchen, daraus einen intelligenten Designer abzuleiten, eine Art Gottesbeweis - doch jeder Gottesbeweis wäre eine Gotteslästerung, denn alles was sich beweisen lässt gehört zu der Schöpfung des Gottes, den man beweisen möchte - auch die menschliche Intelligenz die diesen Beweis versucht.

Die Religion führt in die Situation, dass sie Glauben sucht an EINEN, der auf keine Weise zu finden ist - und unsere religiöse Empfindung sagt uns, dass er ist, dass er sein muss. (Und die Erfahrung zeigt, dass diese Empfindung nach Ersatz sucht, wenn sie keine lebendigen religiösen Erfahrungen findet, und damit den Menschen verführbar macht). Die einzige Möglichkeit für eine wirkliche Lösung, eine Erlösung aus dieser Situation, wäre, dass Gott (der ist) sich offenbart in einer Weise, die Menschen verstehen können – in je ihrer Zeit.

Mit der Reifung des Menschseins hin zu einem freien Individuum, würde sich dann die Religion entwickeln vom magischen Anfängen mit Schamanen und Medizinmännern, über mythische Religionen und Kulturen mit heiligen Herrschern, hin zu den Mysterienkulten, in denen Millionen eingeweiht wurden in das Geheimnis, das die Verbindung zur Gottheit sichert. Da waren Kaiser neben Sklaven im gleichen Kult miteinander. Keiner von denen hat das Mysterium verraten, deshalb kennen wir keins.

"Gott kommt!" - Ausschnitt von Michelangelo, Sixtinische Kapelle, bearbeitet von Dr. Hans Frisch
"Gott kommt!" - Ausschnitt von Michelangelo, Sixtinische Kapelle, bearbeitet von Dr. Hans Frisch

Doch „als die Zeit erfüllt war“, da offenbarte sich Gott in absolut vollkommener Weise - in einem Menschenkind – in dessen Leben und dessen Tod. Wer will, kann ihm diese Fähigkeit oder diese Absicht absprechen – doch eine überzeugendere Offenbarung wird er ihm kaum vorschlagen können.

Musik

Das Titelbild des Weihnachtsspiegels (DER SPIEGEL, Ausgabe Nr. 53 / 2015) könnten wir so lesen: Gott kommt vom Himmel auf die Erde, seinen Heiligenschein hatte er abgegeben, der erreicht die Erde vor ihm, (vielleicht in Mariä Verkündigung) - und dort in der Krippe setzt er alles auf eine Karte - dieses Kind.

Auf dem Titelbild braucht dazu nur der seitwärtsweisende Arm Gottes ersetzt werden durch seinen Arm aus der Sixtinischen Kapelle, mit dem er Adam berührt. Dann wird aus dem stürzenden Gott der herabkommende, der hinzeigt auf sein Ziel Bethlehem.

Wer den Glaubenssatz verkündet: „Gott ist nicht", der darf trotzdem Weihnachten feiern, wie es auch Ben Moore tut, er kann das Angebot ablehnen - ohne Angst vor Strafe, in aller Freiheit. Doch er sollte wissen, dass all die Milliarden Menschen, die das Geschenk angenommen haben, nicht ärmer geworden sind in ihrem Leben – im Gegenteil! Er sollte einem von den vielen Menschen begegnen, die ganz unten waren und durch ihre Begegnung mit Jesus frei und lebendig wurden.

Wenn der Physiker mit seinem Bild vom Glauben recht hätte, würde ich mich sofort vom Glauben verabschieden.

Er behauptet:

„Der Versuch, andere davon zu überzeugen richtet Katastrophen an - Kontrolle und Gehirnwäsche".
„Wir müssen uns nach der Bibel richten - unveränderlich".
„Glauben behindert das Streben nach Wissen".
„Religion hält uns in einem dunklen Zeitalter gefangen".

Nun bin ich in der glücklichen Lage, dass ich in meiner Glaubensentwicklung niemals Kontrolle oder Hirnwäsche erlebt habe, dass mein Bibelverständnis sich im Laufe meines Lebens laufend verändert hat - vor allem dadurch, dass ich nach Wissen strebte und dieses integrierte (oder die Aussagen der Bibel ins Wissen integrierte).

Die Urteile des Physikers kann ich also als Vorurteile bezeichnen – soweit sie mich treffen sollten.
Mit einer so geringen Bibelkenntnis wie sie aus seinen Aussagen spricht, kann er kaum zu einem vernünftigen Urteil kommen - doch hatte er als Gegenüber wohl Fundamentalisten im Blick (wie es sie überall, auch in der Wissenschaft gibt) - die Kirchen bezeichnet er als „organisierte Banden und Horden“ und nennt „ihr Treiben eine Schande“.

Er „respektiert den Glauben eines jeden, aber, was die organisierten Religionen mit unserer Welt gemacht haben - Menschen in Angst versetzt, wie sie ihnen schaden“ - das findet er schlimm. Ja, es gibt in der Kirchengeschichte Zeiten, für die das stimmt – so wie es in der Geschichte unseres Volkes solche Zeiten gibt – sollten wir es deshalb „loswerden“?

„Nach wie vor liefern Religionen Hauptgründe für Krieg weltweit", sagt er und zitiert den Terror der Kriege im Nahen Osten und die Selbstmordattentäter. Schließlich: „Wegen der Religion haben hunderte Millionen Menschen ihr Leben verloren, und es werden immer mehr werden. „Sind Sie wirklich bereit, so viele Menschen dafür zu opfern, dass es Religionen gibt?" fragte er Claussen.
Der blieb erstaunlich ruhig bei dieser Unterstellung, dass er sich am ungeheuren Massenmord beteiligt durch seinen Glauben.

Das klingt so, als würde ich die Medizin beurteilen (und verurteilen) wegen des ungeheuren Missbrauchs, den sie erlebt hat, oder die Physik wegen der Beteiligung an Waffenentwicklungen, oder das Finanzwesen wegen der Finanzkrisen, die es verursacht hat.

Ja, es gibt viel Dunkelheit in unserem Zeitalter – doch es war nicht die Religion die zwei Weltkriege, den Holocaust, einige Weltwirtschaftskrisen und die Gefahren für unseren Planeten verursacht hat. Unter den leuchtenden Opfern der finsteren Nazizeit sind eine Reihe Christen wie Graf Moltke, Bonhoeffer, die Geschwister Scholl, und im Einsatz für die Armen der Erde stehen viele gläubige Menschen und christliche Organisationen mit in vorderster Front – zusammen mit Kommunisten, Humanisten und Gläubigen anderer Religionen. Den Wahnsinn des IS verurteilen die allermeisten frommen Muslime, so wie gewissenhafte Wissenschaftler den Missbrauch ihres Faches verurteilen und ehrliche Banker die Gier vieler ihrer Kollegen.

Eigentlich beleidigt der Physiker die glaubenden Menschen - doch wer sich so blamiert, verdient eher Mitleid als Zorn. Wahrscheinlich hat deshalb der Theologe so zurückhaltend geantwortet. Schade, dass er sich auf Religion festmachen ließ, und nicht vom Glauben an Jesus Christus gesprochen hat. Ein Glaube an „einen Gott“ ist religiös - wenn dieser Gott sich aber nicht in Jesus offenbart hat, das heißt - wenn Jesus sich geirrt hat, als er sagte: „Wer mich sieht, der sieht den Vater“, und als er starb für unser Heil, dann hätte dieser Gott keine Bedeutung für mich.

Wenn Jesus Recht hatte mit seiner Aussage: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle die an ihn glauben nicht verloren werden sondern das ewige Leben haben“, dann weiß ich mich geliebt.

Wie das Wissen: „Ich bin geliebt“ das Leben verändert, hat hoffentlich auch Ben Moore erfahren – und die Theologen sollten diese Botschaft verkünden, besonders in einem Gespräch, das öffentlich geführt wird. Vielleicht befürchtete Pastor Claussen, dass ein solches Gespräch dann nicht gedruckt wird - doch eine Zeitschrift unter dem Motto des Spiegel-online „Keine Angst vor der Wahrheit!“ ist sicher auch offen für die Wahrheit der anderen.

Dr. Hans Frisch